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26.03.1932, Noether an Hasse



Inhalt:

N. dankt H. für Widmungsarbeit zum Geburtstag. Deuring. Brandt.


Göttingen, 26. 3. 1932

Lieber Herr Hasse!

Was ist Ihnen eingefallen mich so zu verwöhnen? Ich habe mich schrecklich gefreut! 1)

Jetzt habe ich auch Ihre Arbeit fertig gelesen und kann also richtig danken für Unfug und Ernstes! Das mm,n-Silbenrätsel habe ich durch genaues Verfolgen aller Bruchstellen wirklich gelöst - und zum Teil verspeist! Auch die Rosenguirlande aus der schwarzroten a-Koalition hat gebührenden Eindruck gemacht, besonders da sie die “Arithmetikerin” umrahmte, das höchste Lob das Sie austeilen können! 2)

Wie Sie es aber fertiggebracht haben in dieser kurzen Zeit3) das hyperkomplexe Reziprozitätsgesetz auszuarbeiten, das ist mir ein Rätsel! Nun muß ich auch ordentlich voran machen um die nichtkommutative Widmung zu verdienen! Ich glaube aber daß Ihre Arbeit mir helfen wird; denn ich sehe dadurch schon wieder manches klarer! Vor allem die Rolle des Reziprozitätsgesetzes, die das Zerfallen der Algebren (a,Z,S) an den Primstellen p der Einsklasse der zugehörigen Strahlklasseneinteilung zwingt - also an den “Divisoren”-Stellen kn, wenn n in der Einsklasse und (a) = nN(C) - während das Zerfallen für die Verzweigungsstellen von Z definitorisch festgelegt ist durch a  =_ 1 (f).4) Ich glaube von da aus muß man zu einer vernünftigen Formulierung im allgemeinen kommen! Jedenfalls hat die Theorie tatsächlich ein ganz anderes Gesicht bekommen! 5)

Beim Literaturverzeichnis hätte ich gern noch die kleine Normennote von Deuring aus den Göttinger Nachrichten erwähnt. Denn das war zeitlich die erste Überlegung in dieser Richtung (März 1930), und sie hat mir persönlich sehr vorangeholfen, wenn sie auch jetzt im wesentlichen überholt ist und er sie spät publiziert hat. Zu meiner Überraschung sah ich, daß er damals (25. 3. 30) am Schluß seines Beweises schrieb: “Der Satz könnte bei einem direkten Aufbau der Normenresttheorie - der vielleicht zu einem vernünftigen Beweis des Reziprozitätsgesetzes nötig ist - eine Rolle spielen, für den Vertauschungssatz (a,pb) = (b,pa).” Mit dem allgemeinen Invarianzsatz, anstelle seines speziellen, ist das doch Ihr jetziger Weg! 6)

Deuring läßt Sie übrigens fragen, ob er vielleicht leihweise für ein paar Wochen einen Durchschlag haben kann, für den hyperkomplexen Bericht? 7) (Ferienadresse Göttingen, Hospitalstr. 3a). Wenn nicht würde ich die Arbeit jetzt nur bei Blumenthal 8) anmelden - sie ist doch für die Annalen bestimmt? - und etwas später hinschicken, das würde zum Druck nichts schaden, wonach ich mich erkundigen werde.

Bei “Brandt” ist noch der Kissinger Vortrag anzugeben, Jahresber. 37 S. 5, 1928.9) S. 8 muß es etwas genauer heißen:10) (Ich sehe Sie haben es so gefaßt daß man “irreduzible” Einbettung nicht braucht.) Wollen Sie S. 15 nicht genauer schreiben, bei den unendlichen Primstellen: Für p reell, ep = 1 oder = 2, je nachdem P reell oder komplex; für p komplex, stets ep = 1. Ich kann es ja hineinschreiben.

Übrigens ist Ihr algebraischer Hilfssatz S. 10 (2.5) gerade ein Spezialfall desjenigen den ich zur allgemeinen Führerdefinition brauche. Ich spreche ihn so aus: “Sei k < L < K, L normal über k und K/L zyklisch. Ist dann neben K auch L Zerfällungskörper von A, so läßt sich ein auf K bezügliches Faktorensystem bei geeigneter Normierung zusammensetzen aus einem auf L bezüglichen und aus Einsen”. In Ihrem Fall würde ich normieren: um = aw; ws = 1; uw = wu. Übrigens habe ich meinen Satz auch aus Albert herauspräpariert.11)

Und jetzt nochmal herzlichen Dank! Sie scheinen es ja auch gewesen zu sein der den Geburtstag bei der Algebra bekannt gemacht hat! 12)

In herzlicher Freundschaft, Ihre Emmy Noether.

Bitte Korrektur der Algebren zurück (für Fitting oder ?) 13) Auch von Deuring.
              

Anmerkungen zum Dokument vom 26.3.1932

1Emmy Noether hatte am 23. 3. 1932 ihren 50. Geburtstag. Drei Tage danach bedankt sie sich nun bei Hasse für eine Geburtstagssendung.

2Wir werden wohl niemals Näheres über den “Unfug” in der Sendung erfahren, von dem Noether spricht, also das mm,n-Silbenrätsel und die schwarzrote a-Koalition. Aber über den “Ernst”, also das mitgeschickte Manuskript, das Hasse der “Arithmetikerin” zum Geburtstag gewidmet hatte, wissen wir Bescheid, denn es wurde in den Mathematischen Annalen 1933 publiziert (mit Eingangsdatum März 1932). Die Arbeit trägt den Titel: “Die Struktur der R.Brauerschen Algebrenklassengruppe über einem algebraischen Zahlkörper. Insbesondere Begründung der Theorie des Normenrestsymbols und die Herleitung des Reziprozitätsgesetzes mit nichtkommutativen Hilfsmitteln. Emmy Noether gewidmet zum 50.Geburtstag am 23.März 1932”. Diese Arbeit Has:1933 - zusammen mit dem Züricher Vortrag von Emmy Noether im September 1932 - ist als der Höhepunkt der Entwicklung in der Kooperation Hasse-Noether anzusehen, die mit Noethers Postkarte * vom 4. 10. 1927 begann und dann zur Strukturtheorie der Algebren über Zahlkörpern und ihren Zusammenhang mit der Klassenkörpertheorie führte. Noether hat die Bedeutung der Hasseschen Arbeit sofort gesehen. In den drei Tagen seit ihrem Geburtstag hat sie das Manuskript gelesen und sendet Hasse nun ihre Kommentare dazu.

3Noether meint die Zeit seit November 1931, d.h. seit der Fertigstellung der gemeinsamen Arbeit BraHasNoe:1932 von Brauer-Hasse-Noether über das Lokal-Global-Prinzip für Algebren.

4Hier spricht Noether ein Detail im Hasseschen Beweis der Summenformel für die Invarianten einer einfachen Algebra an (Satz (6.53) von Has:1933 ). Bei jenem Beweis wird nicht das volle Artinsche Reziprozitätsgesetz herangezogen, sondern nur das Reziprozitätsgesetz für zyklische Kreiskörper, das ziemlich elementar zu gewinnen ist. Die Leistung Hasses besteht darin, für den vorliegenden Zweck geeignete solche Kreiskörper zu konstruieren. (Beiläufig sei erwähnt, dass dazu derselbe elementar-zahlentheoretische Hilfssatz benutzt wird, den auch Artin zu seinem Beweis des Reziprozitätsgesetzes benutzte, um die Tschebotareffsche “Durchkreuzungsmethode” anwenden zu können.) Das volle Artinsche Reziprozitätsgesetz, jedenfalls dessen essentielle Kernaussage, kann dann umgekehrt aus der Summenformel für Algebren hergeleitet werden (Satz (6.71) von Has:1933 ). Das ist der Grund dafür, dass Noether oben schreibt, Hasse habe das “hyperkomplexe Reziprozitätsgesetz” ausgearbeitet. - Es dürfte kein Zufall sein, dass Noether gerade das in Rede stehende Detail im Hasseschen Beweis anspricht. Wenn sie schreibt, dass man a so definieren muss, dass a  =_ 1 modulo dem Führer f, dann erscheint das wie ein diskreter Hinweis darauf, dass Hasse eben dies an der betreffenden Stelle des Beweises nicht sagt, sondern es heißt dort nur, dass a prim zum Führer angenommen werden kann - obwohl die Kongruenzbedingung später im Beweis stillschweigend benutzt wird.

5Die wesentlichen Züge dieses “anderen Gesichts” der Klassenkörpertheorie sind die folgenden: Erstens konnte Hasse nunmehr die lokalen Invarianten einer einfachen Algebra durch rein lokale Bestimmungsstücke definieren und ihre fundamentalen Eigenschaften beweisen. Bislang war das nur mit Hilfe der globalen Klassenkörpertheorie gelungen. Der Weg zur lokalen Definition war ihm von Emmy Noether suggeriert worden, vgl. Brief * vom 2. 6. 1931. Da die Hasse-Invariante einer lokalen Algebra eng mit dem Normenrestsymbol verknüpft ist, so gelang es damit auch, die lokale Klassenkörpertheorie zu begründen, ohne dass dazu das globale Reziprozitätsgesetz in Anspruch genommen zu werden brauchte (wie es in früheren Arbeiten Hasses getan werden musste).

Zweitens aber konnte Hasse nunmehr das globale Artinsche Reziprozitätsgesetz mit Hilfe der Summenformel für die Invarianten einer Algebra beweisen. (Siehe die vorangehende Fußnote 4.) Damit war ein Traum von Emmy Noether Wirklichkeit geworden. Sie hatte seit langem behauptet, dass die Theorie der nichtkommutativen Algebren von besonders einfachen Gesetzmäßigkeiten beherrscht sei, und dass diese folgerichtig zur Begründung der schwierigeren Gesetze der kommutativen Theorie algebraischer Zahlen eingesetzt werden könne.

In der Arbeit entwickelt Hasse die gesamte Theorie ab ovo, wobei allerdings die Beweise bereits bekannter Tatsachen hier nicht immer wiederholt werden, sondern auf die einschlägige Literatur vewiesen wird. Das Lokal-Global-Prinzip für Algebren wird hier jedoch noch einmal dargestellt, diesmal in der von Noether gewünschten Weise. (Vgl. Brief * vom 14. 11. 1931.) Insgesamt ist die Arbeit als ein in sich geschlossener, großartiger Entwurf anzusehen.

6Noether hatte diese Arbeit ihres Schülers Deuring Deu:1931 schon einmal erwähnt, nämlich im Brief * vom 22. 11. 1931. - Hasse hat den Vorschlag von Noether aufgenommen und die Deuringsche Arbeit in seiner Einleitung zitiert.

7Deuring arbeitete damals an dem Manuskript seines Ergebnis-Bandes Deu:1935b über Algebren, was Noether schon in ihrem früheren Brief vom 8. 11. 1932 berichtet hatte. In dem Band sollten die neuesten Ergebnisse mit berücksichtigt werden; daher war Deuring an dem Hasseschen Manuskript interessiert. In der Tat finden sich die wesentlichen Ergebnisse aus Hasses Arbeit Has:1933 im Deuringschen Ergebnis-Bericht wieder. - Übrigens: da hier von einem “Durchschlag” die Rede ist, kann gefolgert werden, dass das Manuskript mit Schreibmaschine geschrieben war. Die Zeiten, in denen Manuskripte handschriftlich zur Publikation vorgelegt wurden, scheinen also 1932 zu Ende zu gehen.

8Blumenthal war der geschäftsführende Herausgeber der Mathematischen Annalen.

9Hasse hat dieses Zitat in sein Literaturverzeichnis aufgenommen: Bran:1928 .

10Dieser Passus ist bei Noether durchgestrichen.

11Es handelt sich um den Satz (in der heutigen Terminologie), dass die Brauer-Gruppe von L|k vermöge Inflation injektiv in die Brauer-Gruppe von K|k eingebettet wird. Hier wird das im zyklischen Fall nachgerechnet. Die von Noether erwähnte Arbeit von Albert ist im American Journ. of Math. 1932 Alb:1932 erschienen. Die Bemerkung von Noether zeigt, dass Alberts Arbeiten von ihr (und auch von Hasse) sorgfältig gelesen wurden. In einem Brief an Richard Brauer vom 2. 4. 1932 stellt Hasse fest, dass er den in Rede stehenden Satz sich “mühsam aus Alberts letzter mir in Korrektur vorliegender Arbeit herausdestilliert” hatte. Er zeigt sich überrascht, dass dieser Satz in Wahrheit eine einfache Folge aus §3 von Brauers alter Arbeit Bra:1928 ist, wie Brauer ihm mitgeteilt hatte. Offenbar hatte das Noether auch nicht gemerkt, denn auch sie bezieht sich in dem vorliegenden Brief auf Albert. In der publizierten Fassung seiner Arbeit hat dann Hasse am Schlusss des Abschnitts (2.5) einen Hinweis auf die Brauerschen Resultate angefügt.

12Außer den Algebraikern scheint niemand in Göttingen den Noetherschen Geburtstag zur Kenntnis genommen zu haben. Olga Taussky, die damals in Göttingen war, berichtet in ihren “ Personal recollections of Emmy Noether” Tau:1981 wie folgt:

Emmy had her 50th birthday in 1932 and told me about it. She commented that nobody in Göttingen had taken notice of it. But then she added: I suppose it is a sign that 50 does not mean old.”

Und Olga berichtet weiter:

Outside of Göttingen, Emmy was greatly appreciated in her country...It was the academic year 1931-1932 and she was at the height of her power and proud of her achievements, knowing that her ideas were now being accepted.

Die Anerkennnung Emmy Noethers “außerhalb Göttingens” wird auch dadurch manifestiert, dass sie im Jahre 1932 in Leipzig den “Ackermann-Teubner-Gedächtnispreis zur Förderung der Mathematischen Wissenschaften” erhielt (zusammen mit Artin). Vgl. Postkarte * vom 30. 11. 1932.

13Diese Zeilen sind offenbar nachträglich mit Bleistift eingetragen. Es scheint, dass Noether ein Korrekturexemplar des Deuringschen Ergebnisbandes “Algebren” Deu:1935b , oder zumindest Teile davon, zur Information an Hasse mitgeschickt hatte. Aber auch andere sollten wohl den Text lesen, z. Bsp. Fitting (ein Doktorand von Noether); daher die Bitte um Rücksendung.