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14.11.1931, Noether an Hasse



Inhalt:

Weitere Kommentare Noethers zur gemeinsamen Arbeit.


Göttingen, 14. 11. 31

Lieber Herr Hasse!

Ich will nummernweise antworten.1)

ad 2) Ich habe Albert noch einmal eingesehen: auch in Satz 20 handelt es sich nur um zyklische Algebren; und wieder um den Satz daß jeder Primteiler des Index im Exponenten vorkommt. Auch später bleibt die Voraussetzung des zyklischen. Ich schlage vor, zu der Anmerkung statt “diese Reduktion” zu schreiben: “diesen Index-Exponentensatz im zyklischen Spezialfall, sowie ...” und das Satz-Zitat ganz zu streichen (eventuell Satz 19, 20); denn später (Satz 22 u. ff) handelt es sich um Anwendung auf Riemannsche Matrizen. Satz 21 bringt die Tatsache A × A'~ _O_ für zyklische Algebren, wo A' reziprok isomorph zu A.2)

ad 3) und ad 1) Die Tatsache der verschiedenenen Eigenzeiten hat mich sehr überrascht. Ich hatte geglaubt, Sie hätten im Augenblick der Lektüre meiner Reduktion die Sache durch Reduktion 2 zum Abschluß gebracht, und das wollte ich festgehalten haben. Es war mir nicht in den Sinn gekommen, daß man die formal kompliziertere Reduktion von K auf L mit K/L auflösbar besitzt, und die einfachere, wenn K/L zyklisch, nicht findet; aber es geht manchmal so.3) Ich möchte jetzt vorschlagen, daß Sie entsprechend dem Toeplitz-Zitat in Ihrem Brief der Anmerkung 0) etwas derartiges zufügen: daß der Beweis in der Reihenfolge der Entstehung wiedergegeben ist; daß ein systematischer Beweis erst durch Umkehrung entsteht; oder beliebig anders stilisiert. (Auf S. 3. wäre dann wohl Ihre vorgeschlagene Einschiebung unnötig). Bei mir persönlich hat nämlich die Umkehrung, die ich nicht verstand, das Gegenteil der Toeplitzschen Freude erwirkt; ich habe nur wegen der drängenden Zeit den “Antrag auf Systematisierung” unterlassen, und statt dessen den Vorschlag des Zusatzes gemacht.4)

ad 5) Daß Sie hinter die Folgerungen Ihren Namen setzen, ist absolut richtig. Satz 2 habe ich doch nur im Anschluß an frühere briefliche Mitteilungen von Ihnen formuliert. - Im letzten Satz der ersten Index-Arbeit (Berl. Berichte) sagt Schur: “Alle bisher bekannten Gruppen sind durch n-te Einheitswurzeln darstellbar”. Da das vermutlich die einzige gedruckte Stelle ist, wird man wohl tatsächlich das als “Schursche Vermutung” ansprechen müssen. R. Brauer wird Ihnen ja genaueres sagen können.5)

ad 6) Selbstverständlich muß Brauer bei Reduktion 3 erwähnt werden: es ist eben tatsächlich nur eine “Trivialisierung”, und wenn man 2. kennt, ganz trivial.6) Aber vielleicht kommen jetzt die für andere Fragen (vergl. 10)) so wichtigen nichtgaloisschen verschränkten Produkte endlich heraus, dank Ihrer Rechnungen!

ad 9) Daß es sich um die “übliche” Norm der Differente handelt, hatte ich schon gestern bemerkt, aber nicht mehr geschrieben, da ich - mit Recht - heute einen Brief von Ihnen vermutete. Die “reduzierte Norm” gibt das, was Brandt im Spezialfall der Quaternionen die “Grundzahl” nennt; die reduzierte Diskriminante wird n-te Potenz dieser Grundzahl.

Dabei definiere ich “reduzierte Norm eines Ideals” an jeder Stelle: da hier das Ideal Hauptideal, einfach als reduzierte Norm eines Basiselements. Die gewöhnliche Norm wird als Determinante der Übergangssubstitution an jeder Stelle gleich der nicht-reduzierten Norm eines Basiselements: also Nred(pk) = Nred im Schiefkörper(pr) = pr; mit n = mr; gewöhnl. N(p) = prm. Eigentlich finde ich, wenn man alles reduziert betrachtet, Grundzahl vernünftiger als Diskriminante; tatsächlich arbeitet auch Brandt bei Aufzählung aller Fälle mit der Grundzahl.

ad 10) Herzlichen Glückwunsch. Das sieht sehr vielversprechend aus! Aber ich verstehe eine Stelle im Beweis nicht! Woraus folgt, daß der Durchschnitt Tp von Up mit Kp der größte in Kp enthaltene unverzweigte Körper ist. Das ist doch Ihre Behauptung: Grad Tp ist fp, die dem folgenden zugrunde liegt. Kann denn nicht Kp etwa einen Up umfassenden, unverzweigten Teilkörper besitzen (dann wäre er sicher Zerfällungskörper), oder aber einen unverzweigten, dessen Grad über Tp zu mp prim, wobei T echter Teilkörper von Up. Habe ich hier etwas mißverstanden; oder ist wirklich eine Lücke? 7)

Wie dem auch sei hier geht es voran!

Herzliche Grüße, Ihre Emmy Noether.
        

Anmerkungen zum Dokument vom 14.11.1931

1Offenbar beziehen sich diese Nummern auf den Brief von Hasse, den dieser als Antwort auf Noethers vorangegangenen Brief * vom 12. 11. 1931 geschickt hatte. Wir kennen die unter den verschiedenen Nummern behandelten Fragen aus dem Hasseschen Brief nicht, aber aus den Antworten von Noether kann man ungefähr entnehmen, worum es geht.

2Zu Albert vgl. den nächsten Brief * vom 22. 11. 1931. - Übrigens: Der Satz 21 enthält einen Fehler Alberts, er formuliert den Satz für A × A statt A × A'. Albert hat den Fehler (im Satz und im Beweis) nachträglich in einer “Erratum”-Seite korrigiert; offenbar hat aber Noether den Fehler sogleich bemerkt und den Satz richtig formuliert.

3Noether spricht hier die Reihenfolge an, in der jeder der drei Autoren (also Hasse, Brauer, Noether) seinen Beitrag zu dieser Arbeit geleistet hatte. Hasse hatte in seinem Manuskript den Beweis in drei Schritte eingeteilt, die er Reduktion 1, 2 und 3 nannte. Es geht um den Hauptsatz, dass jede einfache Algebra über einem Zahlkörper zyklisch ist. In der Reduktion 1 führte Hasse den Hauptsatz zurück auf das Lokal-Global-Prinzip für Algebren. In der Reduktion 2 führte Brauer das Lokal-Global-Prinzip für Algebren mit Hilfe eines Sylow-Arguments auf den Fall zurück, dass die Algebra auflösbar darstellbar ist. Und schliesslich lieferte Emmy Noether in Reduktion 3 die Zurückführung vom auflösbaren Fall auf den zyklischen Fall. Aber für zyklische Algebren hatte Hasse das Lokal-Global-Prinzip schon in seiner amerikanischen Arbeit Has:1932 bewiesen (diese war zwar noch nicht erschienen, aber Brauer und Noether waren über ihren Inhalt informiert). Die Verwunderung Noethers, dass Hasse, als er von Brauer schon den Reduktionsschritt 2 kannte, nicht sofort Reduktion 3 fand sondern diese erst durch Noethers Brief * vom 8. 11. 1931 kennenlernte, ist durchaus berechtigt. Überhaupt scheinen uns heute im Nachhinein die Reduktionen 2 und 3 ziemlich auf der Hand liegend; dies scheint Emmy Noether auch schon hier zu empfinden.

4Wir wissen nicht, welches Toeplitz-Zitat Hasse in seinem Brief genannt hatte. Toeplitz hat sich sehr für die “genetische Methode” im Mathematik-Unterricht eingesetzt, was bedeutet, dass die mathematischen Sätze und Theorien gemäß ihrer Entstehung gelehrt werden sollten und (jedenfalls bei Anfängern) nicht gemäß der logischen Systematisierung, die historisch meist erst später vorgenommen wurde. (Vgl. das in den “Grundlehren” des Springer-Verlages erschienene Toeplitzsche “Lehrbuch der Infinitesimalrechnung nach der genetischen Methode” Toe:1949 .) Es ist anzunehmen, dass sich Hasse eines Zitats von Toeplitz (mit dem er in freundschaftlichem Briefwechsel stand) über die genetische Methode bedient hat, um die Form seines Manuskripts zu rechtfertigen, wo er ja die Beweisschritte in der Reihenfolge anführte, wie sie gefunden wurden. In Wahrheit war der Grund wohl der, dass die Zeit drängte und es Hasse zeitlich nicht mehr möglich war, das Manuskript umzuarbeiten, wie es Noether eigentlich wollte, wie wir hier sehen.

5Vgl. Anmerkung 5 zum vorangehenden Brief * vom 12. 11. 1931.

6Im Text der publizierten Version findet sich demgemäß der Satz: “Unabhängig von E.Noether hatte sich übrigens auch R.Brauer diese dritte Reduktion schon überlegt.” In dem Briefwechsel Hasse-Brauer haben wir dazu die Bestätigung gefunden.

7Wir kennen das Thema von Punkt 10) in Hasses Brief nicht. Aufgrund der Bezeichnungen, die Noether hier benutzt, ist jedoch anzunehmen, dass es Hasse gelungen war, das lokale Normenrestsymbol auch rein lokal zu definieren, oder wenigstens dass er auf dem Wege dazu war. Das ist der erste Schritt zum Aufbau der lokalen Klassenkörpertheorie ohne den Umweg ins Globale. Vgl. Brief * vom 12. 4. 1931.