Artin fragt in Punkt 5.) seines Briefes an, ob Hasse nunmehr auch den
Umkehrfaktor -1 bestimmen kann, auch wenn dieser Umkehrfaktor
nicht trivial ist. Es handelt sich also jetzt im Hinblick auf (19), (20) um diejenigen
Fälle, in denen die Führer von k(
) und k(
) nicht teilerfremd zueinander
sind (vorausgesetzt, dass die beiden Symbole wirklich definiert sind, also
zum
Führer von k(
) teilerfremd ist, und entsprechend
zum Führer von
k(
)).
Für den Fall m = hatte sich Hasse in früheren Arbeiten mit diesem Problem
beschäftigt, z.Bsp. in der Arbeit [Has25d] aus dem Jahre 1925. Damals war
lediglich der Fall eines Primzahlexponenten
zugänglich. (Siehe 5.5.) Artin
möchte nun wissen, ob und wie sich die früheren Überlegungen angesichts seines
neuen allgemeinen Reziprozitätsgesetzes auf den Fall höherer Potenzen
n
erweitern lassen.
In der Tat hat sich Hasse sogleich an die Arbeit gemacht und explizite
Formeln auch für beliebige Exponenten gesucht. In seinem Tagebuch findet sich
unter dem Datum des 4.10.1927 ein Eintrag mit dem Titel „Zum expliziten
Reziprozitätsgesetz im Körper der n-ten Einheitswurzeln“. Dieser Eintrag umfasst
19 Seiten und ist als eine ausführliche Vorarbeit zu der 1929 in den Hamburger
Abhandlungen erschienenen Arbeit anzusehen, mit dem Titel „Zum expliziten
Reziprozitätsgesetz“, in welcher der Umkehrfaktor systematisch behandelt wird
[Has29].63
Hasse bezieht sich dabei auf seine früheren Arbeiten für den Exponenten m =
.
Jetzt aber, sagt Hasse in [Has29], werde er sich im Vergleich mit seinen früheren
Arbeiten ganz neuartiger Methoden bedienen, nicht etwa Verallgemeinerungen
seiner früheren Methoden. Vielmehr knüpft Hasse an die historisch allererste
Arbeit zum expliziten Reziprozitätsgesetz im Kreiskörper an, nämlich den, wie er
sagt, leider nur noch wenig gelesenen Aufsatz von Eisenstein im Crelleschen
Journal 1850 [Eis50b]. Hasse dankt Artin für den Hinweis nicht nur auf die
Eisensteinsche Arbeit, sondern auch auf den Eisensteinschen Ausgangspunkt.
Diese Arbeit von Eisenstein kam schon früher in dem Briefwechsel zur Sprache;
siehe 5.3 und 7.1.
Hasses Idee in dieser neuen Arbeit ist es, die Bestimmung des Umkehrfaktors
zurückzuführen auf den sog. zweiten Ergänzungssatz für den Exponenten n, den
Artin und Hasse in ihrer kürzlichen gemeinsamen Arbeit [AH28] gewonnen hatten
– das ist gerade der umgekehrte Weg, der in [AH25] begangen wurde, wo es
(im Falle eines Primzahlexponenten m =
) darauf ankam, den zweiten
Ergänzungssatz aus dem allgemeinen Reziprozitätsgesetz herzuleiten. (Siehe
5.4.)
Allerdings ist Hasse in dieser Arbeit eine abschließende, befriedigende Formel zur Bestimmung des Umkehrfaktors für beliebige Exponenten nicht gelungen Hierzu vgl. auch den Brief Nr.17 vom 27.10.1927, insbesondere 17.1 und 17.3.
Hasse hat in Teil II seines Klassenkörperberichts ein ganzes Kapitel dem Thema der „expliziten Formeln zum Reziprozitätsgesetz“ gewidmet, aber auch dort heißt es:
„Wünschenswert erscheint eine explizite Formel für den
Umkehrfaktor, in die und
nur modulo
* bestimmt
eingehen…Eine abschliessende Lösung dieser Aufgabe ist bis heute
nicht gegeben…“
(Dabei ist * ein gewisses Ideal, das ein Vielfaches von m ist und genau angegeben
werden kann. Wenn m = 2 ist, dann sind auch die Vorzeichen an den reellen
Stellen zu berücksichtigen.)
Wir können hinzufügen, dass dies bis heute noch nicht abschliessend gelungen ist, trotz vieler interessanter Teilresultate. Vielleicht gibt es überhaupt keine universelle explizite Formel, die diesen Umkehrfaktor in allen Fällen in befriedigender Weise darstellt. Siehe auch 17.3.