17.1 Gemeinsame Arbeit über die Ergänzungssätze

Das Thema der Ergänzungssätze für den Exponenten ln war in früheren Briefen ausführlich zur Sprache gekommen. Hasse hatte die Niederschrift der gemeinsam zu publizierenden Arbeit [AH28] übernommen, und Artin bestätigt nun den Erhalt des Manuskripts.

Sei zn = e2pi/ln die normierte ln-te primitive Einheitswurzel und cn = 1 -zn der Primteiler von l im Körper der ln-ten Einheitswurzeln. Gesucht ist eine Rechenvorschrift für die Berechnung der Potenzrestsymbole (   )
  zn-
  a (1.Ergänzungssatz) und (   )
  cn
  a-- (2.Ergänzungssatz) für a  =_ 1 mod cn im Körper der ln-ten Einheitswurzeln. Diese Symbole werden in der Form znL angesetzt und es geht nun darum, den auftretenden Exponenten L in den beiden Fällen zu berechnen. (Im Falle l = 2 ist n > 2 vorauszusetzen.)

Im Falle des zweiten Ergänzungssatzes ergibt sich

          (         )
L =  1-S   - zn-loga
     ln n    cn
(35)

wobei log a den l-adischen Logarithmus bedeutet, und Sn die Spur im Körper der ln-ten Einheitswurzeln. Dies ist dieselbe Formel wie sie Artin in seinem vorangegangenen Brief Nr.16 vom 4.9.1927 aufgestellt hatte, aber nicht allgemein beweisen konnte. Es ist anzunehmen, dass Artin bei seinem Besuch in Halle am 13.September 1927 mit Hasse darüber gesprochen hatte, und dass sich der Beweis schliesslich aus dieser Diskussion ergeben hat.

Der Beweis ist jedoch keineswegs trivial und erfordert ganz neuartige Überlegungen. Die Idee ist die folgende: Für a  =_ 1 mod lnc1cn ist die Formel trivial, weil dann a hyperprimär ist und beide Seiten gleich 1 sind.153 Daher genügt es, die Formel für die Zahlen einer Basis der Gruppe aller Restklassen modulo lnc1cn , die  =_ 1 mod cn sind, zu beweisen. Eine solche Basis hatte Hensel in seiner grundlegenden Arbeit 1916 im Crelleschen Journal angegeben. Die Basiselemente sind ja = 1 - cna mit geeignetem a aus dem Intervall 1 < a < ln. (Nämlich für (a,l) = 1 oder a = ln.) Mit diesen Basiselementen hatte Artin zu rechnen versucht, war aber damit nicht durchgekommen, wie er das in seinem Brief Nr.16 vom 4.9.1927 schilderte.154 Nun wird für den vorliegenden Zweck eine andere Basis konstruiert, nämlich mit Elementen ta, deren l-adischer Logarithmus die Entwicklung

          sum  oo  caln
log ta = -    -nn-
         n=0  l
(36)

besitzt. (Diese werden als „reine“ Logarithmen bezeichnet, weil im Nenner nur reine Potenzen von l vorkommen.) Die Benutzung dieser Basiselemente ist für den Erfolg der Rechnung entscheidend. Trotzdem sind die Rechnungen nicht trivial und ziemlich langwierig; sie ziehen sich in der publizierten Arbeit über 10 Seiten hin.

Da Artin in seinem Brief nicht eigens darauf eingeht, so ist anzunehmen, dass er schon vorher über diese Wahl der Basis ta informiert war. In seinem letzten Brief hatte er es noch mit einer anderen Basis versucht, und somit ist anzunehmen, dass beide im gemeinsamen Gespräch in Halle entschieden hatten, diese Basis ta zu nehmen.

Die Relation (36) kann auch in der Form log ta = g(cna) geschrieben werden, wobei

          oo    n
g(x) = -  sum  xl- .
             ln
         n=0
(37)

Diese Potenzreihe hat in der späteren Literatur der Witt Vektoren sowie der Algebren in Charakteristik l eine Rolle gespielt; ihre Umkehrung wird heute als „Artin-Hasse exponential series“ bezeichnet.155

Artin erwähnt insbesondere, dass er die Berechnung des ln-ten Potenzrestsymbols (        )
  --cn---
  1- cln
       n„amüsant“ findet, so wie sie Hasse durchführt. Diese Rechnung findet sich am Schluss der Arbeit. Offenbar hat Artin die Formel vorher nicht gekannt, denn er schreibt, dass er als Ergebnis zn±1 vermutet hätte. Dies tritt jedoch nur für n = 2 und für n = 3,l = 2 ein. Wie es scheint, hatte Artin höhere Exponenten nicht numerisch getestet. Die von Hasse gefundene Formel ist eine Folge der oben genannten langwierigen Rechnungen. Die Hassesche Formel besitzt die Form (   cn  )
  ----ln-
  1- cn = znLn mit

                        (    |~ n ~| -1)
L  =  sum  -1   sum    (- 1)m-1  ml 2n
 n    m m                 ml |~ 2 ~| -1
           1<m<m
(38)

wobei m die zu l teilerfremden Zahlen des Intervalls 1 < m < n- |~ n-l1- ~| durchläuft. Die Klammern rechts bedeuten den entsprechenden Binomialkoeffizienten. Siehe auch 17.3.