Hasse hatte schnell auf Artins Brief vom 18.9.1930 reagiert. Er hatte seine Antwort nach Berlin geschickt wo, wie er wusste, sich Artin bei den Schwiegereltern aufhielt. Offenbar hatte Hasse die Bedeutung der neuen Resultate Artins sofort erkannt und ihm spontan angeboten, diese im Crelleschen Journal zu publizieren. Artin antwortet nun, dass er die Arbeit in zwei Teile spalten und nur den ersten Teil im Crelleschen Journal drucken lassen möchte, während er den zweiten Teil „aus alter Anhänglichkeit“ in die Hamburger Abhandlungen geben will.35
Artin gibt auch Gründe für die Aufteilung an: Der erste Teil, der die Artinschen Führer behandelt, sei wohl von allgemeinem Interesse, insbesondere ist er unabhängig von der Anwendung bei den L-Reihen. Artin hegt insbesondere eine „kleine“ Hoffnung für den Klassenkörperturm.36 Das ist wohl so zu verstehen, dass durch eine geeignete Abschätzung der Artinschen Führer und demgemäss auch für die Diskriminante die bekannte Minkowskische Abschätzung vielleicht verbessert werden könnte. Wir erinnern daran, dass Artin schon früher darauf aufmerksam gemacht hatte: eine geeignete Verbesserung der Minkowskischen Diskriminanten-Abschätzung würde die Endlichkeit der Klassenkörpertürme zur Folge haben.37 Allerdings ist Artins Hoffnung jetzt „klein“, was wohl bedeutet, dass er inzwischen Zweifel hat, ob die Klassenkörpertürme stets abbrechen. Vielleicht waren diese Zweifel aufgekommen, nachdem Arnold Scholz auf einfache Weise beliebig hohe Klassenkörpertürme konstruieren konnte. (Vgl. dazu 20.1.1.)
Bemerkenswert ist, dass in dem von Artin gewählten Titel „Gruppentheoretische Struktur der Diskriminante“ das Wort „Führer“ nicht vorkommt. Können wir daraus schließen, dass Artin als wichtigstes Resultat seiner Arbeit die Produkt-Aufspaltung der Diskriminante ansieht? (Siehe Punkt 3.)d) in dem vorangegangenen Brief Nr.30 vom 18.9.1930.) Wir würden heute bei der Einstufung dieser Arbeit das Gewicht mehr auf den Führer legen, und den Führer-Diskriminantensatz nur als eine von einer ganzen Reihe von wichtigen Eigenschaften der Artinschen Führer ansehen.
Dabei ist zu beachten, dass es sich hier um die gruppentheoretischen Führer handelt, welche zu Charakteren einer beliebigen Galoisgruppe gehören. Im Gegensatz dazu gibt es im abelschen Falle die aus der Klassenkörpertheorie bekannten arithmetischen Führer; diese gehören zu den Charakteren der Strahlklassengruppe, welche die abelsche Erweiterung beschreibt. Aufgrund des Artinschen Reziprozitätsgesetzes können die Strahlklassencharaktere mit den gruppentheoretischen Charakteren identifiziert werden. Der Nachweis, dass bei dieser Identifikation die arithmetischen mit den Artinschen Führern übereinstimmen (im abelschen Fall), bildet einen wesentlichen Bestandteil des Ganzzahligkeitsbeweises für die Artinschen Führer-Exponenten (44) im allgemeinen galoisschen Fall.