Lieber Herr Hasse!
Vielen Dank für Ihren lieben Brief, der mich lebhaft interessiert hat. Ich habe nun die Arbeit schon aufgeschrieben und an die Druckerei weitergegeben. Nächste Woche erhalten Sie die Korrekturen.65 Am Schluss der Arbeit schrieb ich, dass Sie mir mitgeteilt hätten, die Hilbertsche Formulierung könnten Sie beweisen. Ich hoffe, dass Sie damit einverstanden sind; wenn nicht, so können in der Korrektur noch immer Änderungen vorgenommen werden. Ich würde auch gern noch in einem Zitat darauf hinweisen, wo Sie dieses Resultat publizieren werden. Steht das schon fest?66
Ferner sind Sie mir doch nicht böse, dass ich Ihrem Vorschlag =
zu zeigen doch nicht gefolgt bin und weder ihn, noch
= 1 gezeigt
habe.67
Ursprünglich hatte ich nämlich die ganze Sache auf etwa 10 Seiten veranschlagt.
Da nun das laufende Heft bereits dadurch zu gross geworden wäre, können Sie
sich denken, dass ich sehr sparen musste als ich doch insgesamt 15 Seiten
(geschrieben = etwa 12 Seiten Druck) dazu brauchte. Das kommt daher, weil ich
alles in lesbarer, genügend breiter Form darstellen wollte. So habe ich mich denn
schweren Herzens nur zu
=
entschlossen.
Darf ich nun noch einige Fragen an Sie
richten:68
Bei n-primär kommt man mit dem Modul (1 -
)
aus, wenn
eine
primitive
-te Einh[eits]w[urzel] ist, also mit einem von n unabhängigen
Modul. Bei
n-hyperprimär muss man aber stark klettern. Haben Sie die
genaue Potenz von den
i mit der man auslangt? Das kann nicht schwer
sein (mit Hilfe der bekannten Resultate über Kummersche Körper), ich
hab es mir aber noch nicht genau überlegt. Man muss da den Führer für
k(
) bestimmen wenn
durch
1
teilbar ist. Das gibt doch die grösste
Potenz?
Als Kuriosität, die ja natürlich bekannt ist, möchte ich die Formeln für
das biquadratische R[eziprozitäts]g[esetz] in R() in expliziter Form
angeben:69
Nun etwas anderes, das mir grossen Spass bereitet hat und das ich gestern im Heckeseminar erzählte. Das Resultat scheint, so trivial der Beweis ist, neu zu sein.
Eine ganz kindische Vermutung jedes Anfängers ist doch diese: Ist k Unterkörper von K, so ist die Klassenzahl von k ein Teiler der Klassenzahl von K. Ich möchte zeigen, dass dies „fast“ immer richtig ist, mehr noch:70
Satz: Enthält K/k (wo K ein beliebiger, nicht notwendig galois’scher Oberkörper von k ist) keinen in bezug auf k Abelschen und gleichzeitig unverzweigten Zwischenkörper, so besitzt die Gruppe der absoluten Idealklassen von K eine Untergruppe (Gruppe der Klassen deren Relativnorm in k in die Hauptklasse fallen), deren Faktorgruppe isomorph ist mit der Gruppe der absoluten Idealklassen in k.
Beweis: Sei der Klassenkörper (absolute, volle) von k. Er hat mit K nach
Annahme den Durchschnitt k. Für den bekannten Satz der galois’schen Theorie,
dass die Fremdheit der Körper ausreicht um zu sichern, dass der komponierte
Körper als Grad das Produkt der Grade hat reicht es nun aus, wenn einer der
Körper relativ galois’sch ist. Das ist beinahe trivial. Nun ist der Klassenkörper
sogar Abelsch. Also hat der komponierte Körper
K =
1 in bezug auf K
gleichen Grad und gleiche Gruppe wie
in bezug auf k. Da
in bezug auf k
unverzweigt ist, ist auch K
in bezug auf K unverzweigt. Sie überlegen sich das
leicht selbst (etwa „allgemeine“ Zahl aus
ist spezielle Zahl in
1 deren
Rel[ativ]d[iskriminante] in bezug auf K den Wert 1 hat). „Allgemeine“
Zahl = Basisform. Also ist
1 Klassenkörper in bezug auf K und zwar
unverzweigter. Folglich gibt es eine mit den Idealklassen von k isomorphe
Klasseneinteilung (absolute, d.h. mod1) in K. Wir sind zu Ende. Dass
die Hauptklasse gerade aus den angegebenen Klassen besteht überlegen
Sie sich leicht selbst. Allgemein ist der Idealklasse
aus k der Komplex
derjenigen Klassen
aus K zuzuordnen, deren Norm nach
fallen. Das
wesentliche ist dabei die Existenz solcher Klassen
, und das geht eben so
einfach.
Ich lege deshalb Wert auf diesen Satz, da er (abgesehen vom hübschen Wortlaut) unmittelbar die Kummersche Vermutung bestätigt und verallgemeinert (Hilbert Zahlbericht Seite 378, dritte bis siebente Zeile von oben):
Satz. Sind k1 und k2 zwei im Körper der n-ten Einheitswurzeln (
Primzahl,
n beliebig) enthaltene Unterkörper, und ist k1 Unterkörper von k2, so
ist die Klassenzahl von k1 Teiler der von k2. Genauer, die Gruppe der
Klassen in k2 besitzt eine zu der von k1 isomorphe Faktorgruppe. (Also
auch eine dazu isomorphe Untergruppe, (bekannter Satz über abelsche
Gruppen)).
Zum Beweis braucht man nur zu zeigen, dass ein in R()
enthaltener Unterkörper k1 keinen unverzweigten, in R(
) enthaltenen
Oberkörper haben kann. Das ist aber trivial. Denn
wird in R(
), also auch in
jedem Zwischenkörper Potenz eines Primideals ersten Grades. Ist
der Primteiler
in k1, so wird folglich in jedem in R(
) liegenden Oberkörper
eine Potenz; geht
also in der Relativdiskr[iminanten] auf.
Der Satz ist für zusammengesetzte m nicht mehr richtig. Denn der Körper der
20-ten Einheitswurzeln R(,i) hat die Klassenzahl 1, der Unterkörper
R(
) die Klassenzahl 2.
Sie sehen, dass sogar durch triviale Verwendung der Klassenkörpertheorie noch hübsche Sätze zu erhalten sind.
Nun bin ich noch immer nicht zum Hauptidealsatz gekommen, was mir sehr leid tut, weil ich die dabei verwendete Methode für viel wichtiger halte als den Satz selbst. Dieser hat sich leider damit noch nicht ergeben. Wohl aber haben wir (Herr Schreier als Gruppentheoretiker tut hier mit) ihn für so viele Gruppentypen verifiziert dass schon zu sehen ist, dass es als hoffnungslos erscheinen muss ein Gegenbeispiel zu finden. Die Klassenzahl des Grundkörpers müsste in die Hunderte gehen; und das ist doch hoffnungslos.71
Also haben Sie bitte noch Geduld. Darf ich Sie bitten Ihrer Frau Gemahlin viele Grüsse zu bestellen. Leider waren Sie noch nicht verheiratet, als wir das letzte Mal über die Rez[iprozitäts]ges[etze] korrespondierten, sonst würde sie sich über den Eifer nicht wundern.72
Viele Grüsse
Ihr Artin Kommentare zum Brief Nr. 11: