12 29.07.1927, Brief von Artin an Hasse
Hamburg, 29.7.27
Lieber Herr Hasse!
Anlässlich der Hilbertwoche habe ich so viel zu tun, dass ich noch nicht zu
einer ausführlichen Beantwortung kommen kann. Ich bitte Sie, sich bis
Montag damit zu gedulden. Zunächst meinen besten Glückwunsch zu der
schönen neuen Formulierung des R[eziprozitäts]g[esetzes]. Ich finde auch,
dass sie die wahre und symmetrischste ist. In ihr stecken viele spezielle
Fälle!
Dann die Geschichte mit n-primär. Das war ein ganz dummer Rechenfehler von
mir, auf den ich jetzt nicht weiter einzugehen brauche. Mit (1 - )n
, ,
kommt man aber aus. Oder hab ich mich wieder verrechnet? Vielleicht schon mit
weniger.
Sie müssen entschuldigen, aber ich bin so müde, dass ich nicht genauer darüber
nachdenken kann.
Was Sie zur Klassenkörpertheorie sagen hat mich sehr interessiert und ich habe mir
vorgenommen, im Sommer mehr darüber nachzudenken. Meine vorläufigen Ansichten
sind diese:
- Es ist prinzipiell nicht möglich den Existenzbeweis für den Fall
wesentlich zu vereinfachen, und auch nicht erforderlich, da dieser Teil
durchsichtig genug ist.
- Es ist ausserordentlich wichtig und unbedingt erforderlich –
wahrscheinlich auch möglich – den Umkehrsatz für einfacher und
durchsichtiger zu beweisen. Ohne Geschlechter und ohne ambige
Klassen, Einheiten ect.
- Die auf den Existenzbeweis folgenden Teile sind so einfach und
durchsichtig (bis auf den Geschlechtersatz für , insbesondere die
Takagische sogenannte „Verallgemeinerung“) dass fürs erste bei diesen
Teilen auf Vereinfachung verzichtet werden kann. Ausnehmen muss ich
den Geschlechtersatz für n, den man aus der Induktion herauswerfen
müsste.
- Hat man alle Sätze, so ergeben sich hinterher die Geschlechtersätze als
„Trivialitäten“, wovon ich aus bestimmten Gründen fest überzeugt bin.
Ich schreibe Ihnen noch näheres.
- Wollen Sie bitte meinen Verzicht auf Vereinfachung bei gewissen Teilen
als vorläufig auffassen. Gewiss kann und muss man auch die weiteren
Teile vereinfachen. Aber am dringendsten scheinen mir die Vorbereitungen
zum Umkehrsatz für und der Geschlechtersatz. Das und Ge-ixe ist
„Unfug“ und wird durch -adik an diesen Stellen zwar formal, aber nicht
wesentlich verbessert. Ebenso an einigen Stellen (bei „Verallgemeinerung“
von Geschlecht) das und Ge-ixe.
Gewiss geht es vorläufig nicht anders. Aber ich bin überzeugt dass man es
anders machen kann. Sind Sie im grossen Ganzen meiner Meinung?
Mit vielen Grüssen an Ihre Frau Gemahlin und der Bitte, dass sie mein vieles
Schreiben entschuldigt
Ihr Artin
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