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08.02.1931, Noether an Hasse



Inhalt:

Die Dissertation von Fitting. Maximale Teilkörper von Divisionsalgebren. Planung des “Schief-Kongresses” in Marburg. Herbrand.


Göttingen, 8. 2. 31

Lieber Herr Hasse!

Sie bekommen als Antwort auf Ihre Postkartenfragen viel Hyperkomplexes zur Verarbeitung, vielleicht mehr als Ihnen lieb ist.

Fitting hat sein Strukturresultat auf S. 4 als Satz 1 ausgesprochen; zum Verständnis müssen Sie sich aber wohl doch erst durch die Automorphismen durcharbeiten1) - er hat sie für mein Gefühl ausgezeichnet dargestellt (ein Körper braucht natürlich nicht kommutativ zu sein). Sie sehen dann auch, wie die Artinschen Sätze durch Spezialisierung herauskommen (Satz 3 und 4).2) Sein Satz 1 (bezw. 2) ist übrigens im hyperkomplexen Fall einfach die begriffliche Deutung des Satzes 10, S. 130 der deutschen Ausgabe von Dickson3); aber erst durch den Automorphismen-Ring kommt man zur Matrizendarstellung. Ich habe mich über die Fitting-Arbeit, die in Fragestellung und Durchführung vollständig selbständig ist - wenn auch beeinflußt durch meine Begriffsbildungen - und viel mehr enthält als diese angegebenen Resultate sehr gefreut; er wird im Mai damit promovieren, hat übrigens schon 11 Semester.4) Der Übergang von Satz 1 zu Satz 2 entspricht meinem Übergang zu K (S. 667, oder Dickson S. 119 (12)).5)

Die Antwort auf die Frage nach den maximalen Teilkörpern können Sie aus van der Waerden holen (die vorangehenden Kapitel liegen schon als Fahnen vor), der meine Beweise von der Sommervorlesung 1928 wesentlich vereinfacht hat; so ähnlich habe ich sie 29/30 gebracht6) (allerdings mit Einführung des “reziproken Darstellungsmoduls”) anstelle von S. 117 u. ff. (und auch sonst viel allgemeiner, wie ich jetzt bemerke; aber auch das zum Teil mit van der Waerdens Vereinfachungen). Den Satz finden Sie auf S. 122, brauchen also nur von 117-122 zu lesen: ich habe das ganze geschickt, weil ich nicht weiß ob die Bezeichnungen unabhängig verständlich sind. - Wie ich jetzt sehe, hat van der Waerden mehr als mir bekannt war, nämlich den Satz auf S. 121 unten.7) Ich glaube R. Brauer hat diesen Satz in Königsberg vorgetragen.8)

Für vollständig reduzible Moduln hat übrigens van der Waerden auch die Fittingsche Konstruktion des Artinschen Rings (54-56 in neuer Fassung, obenan). Das stammt von Rabinowitsch in Moskau, war aber Fitting nicht bekannt.

Nun zum “Schiefkongress”.9) Ich werde also “Hyperkomplexe Struktursätze mit zahlentheoretischen Anwendungen” bringen, um dem Kind einen Namen zu geben. Übrigens hoffe ich tatsächlich, etwas über Führersätze sagen zu können: erste Ansätze habe ich, und zwar für die hyperkomplex leichter zugängliche Differentenzerlegung, aus der dann die Artinsätze durch Normbildung folgen würden. Ob ich aber soweit komme, weiß ich nicht, sonst kommen die alten Anwendungen!

Ich würde als Vortragsreihenfolge vorschlagen: R. Brauer, Noether, Deuring, Hasse. Dann kann jeder sich auf den Vorhergehenden berufen. Die übrigen Vorträge sind ja unabhängig.

Dann möchte ich auch vorschlagen, auch meinen Rockefeller-Stipendiaten für den nächsten Sommer - der jetzt bei von Neumann in Berlin ist - aufzufordern: Dr. J. Herbrand, Berlin-Charlottenburg, Mommsenstr. 47, bei Ehrmann. Als Rockefellerstipendiat bekommt er die Reise bezahlt; Sie haben also keine Kosten. Er kam nach Halle, und hat am meisten von allen von meinen Sachen verstanden.10) Er hat bis jetzt außer Logik nur Zahlentheorie gearbeitet (die er aus Ihrem “Bericht” und Ihrer Normenresttheorie gelernt hat11)); ich dachte an ihn nur als Zuhörer. Eventuell könnte er aber über seine durch die Einheitengruppen vermittelten ganzzahligen Darstellungen der Galoisgruppe vortragen; das ist wahrscheinlich nahe mit meinen hyperkomplexen Sachen zusammenhängend (C[omptes] R[endus] Januar12).). Wir hatten in Halle alle einen ausgezeichneten Eindruck von ihm.

Beste Grüße, Ihre Emmy Noether.
             

Anmerkungen zum Dokument vom 8.2.1931

1Es handelt sich um die Dissertation 1931 von Fitting mit dem Titel “Die Theorie der Automorphismenringe Abelscher Gruppen und ihr Analogon bei nicht kommutativen Gruppen.” In erweiterter Form wurde sie publiziert in den Mathematischen Annalen Fit:1932 . Das Exemplar, auf das sich Noether hier bezieht, unterscheidet sich von der publizierten Fassung; die von Noether angegebenen Seitenzahlen und Satznumerierungen entsprechen nicht denen der publizierten Version. - Das Ziel der Fittingschen Arbeit ist eine “Neubegründung der Theorie der hyperkomplexen Systeme, allgemeiner beliebiger Ringe mit Doppelkettensatz”. Die neuartige Methode besteht darin, einen solchen Ring als Gruppe mit sich selbst als Operatorenbereich anzusehen; demgemäß ordnet sich das angegebene Ziel als Spezialfall in die allgemeine Strukturtheorie von Endomorphismenringen von Gruppen ein. (Fitting spricht von “Automorphismen”, während sich heute die Bezeichnung “Endomorphismus” durchgesetzt hat.) Offenbar hatte Hasse von dieser Dissertation gehört und um Details gebeten.

2Hier bezieht sich Noether auf die Arbeit Art:1927a , in der eine allgemeine Strukturtheorie der Ringe mit Doppelkettensatz, d.h. der heute so genannten Artinschen Ringe, gegeben wird. (In diesem Zusammenhang ist “Doppelkettensatz” zu verstehen als die gleichzeitige Gültigkeit der Maximalbedingung und der Minimalbedingung für Ideale. Nicht zu verwechseln mit der Noetherschen Bedingung “Maximalbedingung für Ideale” und “Minimalbedingung modulo jedem Ideal /=0”, was Noether als “Maximalbedingung und eingeschränkte Minimalbedingung” bezeichnet. Damals wusste man noch nicht, dass aus der Minimalbedingung die Maximalbedingung für Idealketten folgt, daher wurde sowohl die Minimal- als auch die Maximalbedingung gefordert.) Artin benötigte diese Theorie zum Aufbau der Arithmetik in Maximalordnungen von Algebren Art:1927 . Die Artinschen Arbeiten waren übrigens der Anlass für Hasse, die gesamte Theorie auf p-adische Grundlage zu stellen: Has:1931 . Dazu vgl. Brief * vom 25. 6. 1930.

3Gemeint ist das Buch “Algebren und ihre Zahlentheorie” Dic:1927 .

4Es erscheint beachtenswert, dass damals eine Studiendauer von 11 Semestern bis zur Promotion offenbar als ziemlich lang angesehen wurde - so lang, dass es Noether einer besonderen Bemerkung wert war.

5Wenn Noether von “meinem” Übergang spricht, dann bezieht sie sich auf ihre Arbeit “Hyperkomplexe Größen und Darstellungstheorie” Noe:1929 . Dort findet sich auf Seite 667 die Konstruktion des Schiefkörpers K, über dem sich ein gegebener “vollständig reduzibler zweiseitig einfacher Ring mit Einselement” als voller Matrizenring darstellen lässt.

6Die Vorlesung “Algebra der hyperkomplexen Größen” im Wintersemester 1929/30 wurde von Deuring ausgearbeitet; diese Ausarbeitung ist in die Gesammelten Abhandlungen von Emmy Noether aufgenommen worden.

7Offenbar bezieht sich Noether auf den Band 2 von van der Waerdens “Moderne Algebra” vdW:1931 , dessen erste Auflage im Jahre 1931 erschien, und von dem Noether offenbar bereits die Druckfahnen besitzt und sie Hasse zuschickt. Allerdings stimmen die von Noether angegebenen Seitenzahlen nicht mit den Seitenzahlen des gedruckten Buches überein; wahrscheinlich trugen die Druckfahnen noch nicht die endgültigen Seitenzahlen. In der publizierten Version (1. Auflage) findet sich an der betreffenden Stelle ein Satz über die maximalen kommutativen Teilkörper von Matrizenringen über einem Schiefkörper D, u. a. dass dies genau die Zerfällungskörper von D sind. Für Zerfällungskörper kleinsten Grades war dieser Satz schon in der gemeinsamen Arbeit von Noether mit Brauer BraNoe:1927 enthalten. Nun sagt Noether, dass der Satz, den sie bei van der Waerden findet, ihr in dieser Allgemeinheit noch nicht bekannt war. - Diese Briefstelle setzt in Evidenz, was auf dem Titelblatt von van der Waerdens “Moderne Algebra” zu lesen ist, nämlich dass dieses Buch “unter Benutzung von Vorlesungen” von Emmy Noether entstanden war (und übrigens auch von Artin). Mehr noch: Emmy Noether hat offenbar regen Anteil an der Gestaltung des Buches genommen; wir entnehmen dieser Briefstelle, dass sie die Korrekturfahnen des van der Waerdenschen Buches sorgfältig und genau durchgesehen hat.

8Ob Brauer den in Rede stehenden Satz tatsächlich auf der DMV-Tagung in Königsberg im September 1930 vorgetragen hat, konnten wir nicht feststellen.

9Es handelt sich um die kleine Tagung über Schiefkörper, die von Hasse gemeinsam mit Emmy Noether geplant wurde und vom 26. 2. -1. 3. 1931 in Marburg stattfinden sollte. Hasse hatte anläßlich seiner Berufung nach Marburg einige Mittel zur Durchführung einer solchen Tagung erhalten und er wünschte, alle verfügbaren Fachleute zusammenzuholen mit dem Ziel, den von ihm aufgestellten Vermutungen über Algebren über Zahlkörpern näher zu kommen. (Zu diesen Vermutungen vgl. die beiden vorangehenden Briefe * * vom 19. und 24. 12. 1930.) - Am 13. 1. 1931 hatte Hasse einen Vortrag vor der Mathematischen Gesellschaft Göttingen gehalten. Der Titel seines Vortrags war “Über Schiefkörper”, und er stellte darin der mathematischen Öffentlichkeit seine Vermutungen über Schiefkörper und Algebren über Zahlkörpern vor, insbesondere die Vermutung, dass jeder solche Schiefkörper zyklisch ist. Sehr wahrscheinlich hatte Hasse bei dieser Gelegenheit mit Emmy Noether über die Planung des “Schiefkongresses” gesprochen.

Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass die Anregung zu dieser Tagung auf einen Brief Emmy Noethers an Hasse aus dem Jahre 1929 zurückging, wie es Tobies in einer Anmerkung zu einem Brief Noethers an Paul Alexandroff meint. (Vgl.Tobies, “Briefe Emmy Noethers an P. S. Alexandroff” Tob:2003 .) In dem dort zitierten Brief Noethers vom 13. 10. 1929 an Alexandroff heißt es zwar: “Hasse geht als Nachfolger von Hensel nach Marburg; ich schrieb ihm über zusammenhängende Gastvorlesungen, habe aber noch keine Antwort.” Es ist aber unklar, ob mit den “zusammenhängenden Gastvorlesungen” eine Tagung wie dieser “Schiefkongress” in Marburg gemeint war. Einige Tage vor diesem Brief an Alexandroff hatte Noether in der Tat an Hasse geschrieben; vgl. den den Brief * vom 7. 10. 1929. Darin gratuliert sie Hasse zunächst zu dem Ruf nach Marburg, und dann fragt sie an, ob nicht Alexandroff auf der Liste der Nachfolger Hasses in Marburg genannt werden könne. Irgendwelche Andeutungen über “zusammenhängende Gastvorlesungen” kommen jedoch in diesem Brief nicht vor. Es mag sein, dass Noether mit Alexandroff darüber gesprochen hatte, ob er eine Stelle in Deutschland annehmen würde, und dass die Bezeichnung “zusammenhängende Gastvorlesungen” ein vereinbartes Stichwort war, damit der Ausreisewunsch Alexandroffs nicht sogleich in Russland bekannt wurde. (Möglicherweise unterlag die Post einer gewissen Zensur.) Doch das ist reine Spekulation, und nach dem heutigen Kenntnisstand muss die Frage unentschieden bleiben, was Noether mit den “zusammenhängenden Gastvorlesungen” gemeint haben könnte.

In diesem Zusammenhang ist auch die folgende Briefstelle aus einem Brief Hensels an Hasse vom 21. Oktober 1929 von Interesse; dort antwortet Hensel auf Hasses Mitteilung, dass man ihm einen Fonds für Gastvorlesungen bewilligt habe:

...Dass Ihr Wunsch wegen des Fonds für Vorträge etc. so schön erfüllt ist hat mich sehr erfreut. Das könnte eine schöne Sache werden, durch die die Mathematik in Marburg und in Deutschland wirklichen grossen Gewinn haben würde. Auch ich möchte gern zum Gelingen dieses Planes ein wenig beitragen ...Wie viel könnten wir alle von dem reichen Strom von wissenschaftlicher Anregung haben, das sich dann auf unser glückliches Marburg ergiessen würde ...

Insbesondere sehen wir, dass es damals keineswegs an allen deutschen Universitäten üblich war, Kolloquien mit auswärtigen Gästen zu veranstalten, so wie es heute der Fall ist. In Marburg wurden solche Kolloquien jedenfalls erst nach der Berufung Hasses eingeführt. Die eindrucksvolle Liste der Vortragenden in Marburg in den ersten Jahren nach 1930 enthält auch Emmy Noether, nicht nur beim Schiefkongress sondern auch später; vgl. den Brief vom 4. 2. 1933.

10Emmy Noether hatte kurz vorher einen Gastvortrag an der Universität Halle gehalten, zu dem also, wie wir erfahren, auch Herbrand aus Berlin gekommen war.

11Gemeint sind der Hassesche Klassenkörperbericht, Teil 2 Has:1930a sowie die Arbeiten Hasses zur Normenresttheorie, die schliesslich in die lokale Klassenkörpertheorie mündeten Has:1930 . - Wenn Noether schreibt, dass Herbrand die moderne Zahlentheorie aus den Arbeiten von Hasse gelernt hat, dann reflektiert dies die Tatsache, dass die neueren Entwicklungen der algebraischen Zahlentheorie in Frankreich damals weithin unbekannt geblieben waren. Es waren wohl im wesentlichen Herbrand, Chevalley und Weil, die nach ihren Deutschland-Aufenthalten den Anstoß gaben, sowohl persönlich als auch durch ihre Arbeiten, dass diese Aspekte bei der nächsten Generation französischer Mathematiker bekannt wurden.

12Siehe Her:1931 . Im Programm des “Schiefkongresses” erscheint der Name Herbrand nicht, er hat also wohl nicht auf der Tagung vorgetragen - wahrscheinlich weil das Programm mit 5 Vortragsstunden täglich schon ziemlich voll war. Es erscheint uns im Hinblick auf andere Quellen nicht ausgeschlossen, dass Herbrand an dem “Schiefkongress” teilgenommen hat.