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24.12.1930, Noether an Hasse



Inhalt:

Das Schiffsbild. Zurücknahme der Kritik an Hasses Vermutungen. Wann ist das direkte Produkt von Schiefkörpern wieder ein Schiefkörper?


Göttingen, 24. 12. 30

Lieber Herr Hasse!

Anbei erhalten Sie die Metamorphose Ihres Schiffbilds1) in ein Negerweib - vom Maphafilm2); im übrigen aber ist dieser Brief ein pater peccavi. Ihre Luftschlösser sind nämlich noch garnicht umgefallen - vielleicht sind Sie jetzt darüber betrübt - ich habe aus der Albertschen “Fürchterlichkeit”3) ziemlich genau das Gegenteil dessen herausgelesen was drinstand. Erst Ihr Gegenbeispiel hat mir die Sache klar gemacht.

Also: 1) In der ersten Arbeit (Transactions 31) wird gezeigt, daß jeder Schiefkörper mit rationalem Zentrum vom Index 4 (kurz Schiefkörper) einen maximalen Abelschen Teilkörper vom Grad 4 besitzt.

2) In der zweiten Arbeit (Transactions 32) wird die daraus folgende verschränkte Produktdarstellung durchdiskutiert; und es werden die diophantischen Bedingungen für zyklische Erzeugung aufgestellt.

3) In einer dritten Arbeit (Ann. Math. 30 (1929), S. 621) wird gezeigt, daß das direkte Produkt4) von zwei verallgemeinerten Quaternionenkörpern stets Nullteiler enthält; aus der Theorie der quadratischen Formen werden solche konstruiert.

Mein Fehler war, daß ich aus 1) und 2) auf direkte Produktbildung schloß. In Wahrheit verhält es sich so:

Sei Z = R(a1) × R(a2) der Abelsche Teilkörper; G = {1,b1,b2,b1b2} die zugehörige Gruppe; mit b1-1a1b1 = a1 und b2-1a2b2 = a2; b12 = b1, b22 = b2, b1b2 = cb2b1. Dann brauchen b1 und b2 garnicht rational zu sein, und c braucht nicht der Eins assoziiert zu sein (d.h. durch Übergang zu Erzeugenden bi' in 1 überzugehen); das hatte ich, da ich die “Faktorensysteme” b1, b2, c mir nicht aufschrieb, übersehen.5)

Man kann nur schließen: b1 gestattet die Transformation mit b1, liegt also in R(a2); ebenso b2 in R(a1). (Zwischen b1, b2, c und Konjugierten besteht noch eine Assoziativbedingung). Tatsächlich müssen nun b1 und b2 nichtrational sein: das ist in 3) gezeigt. (Ebenso natürlich noch das durch b1, b2, c ausdrückbare (b1b2)2 nicht rational; da ein Unterkörper mit gleichem Zentrum stets direkter Faktor). Das ist doch wirklich das Gegenteil von dem was ich neulich behauptete!

Es scheint also doch ganz wahrscheinlich, daß bei algebraischen Zahlkörpern als Zentrum immer Exponent und Index übereinstimmen. Trotzdem scheint mir das Heranziehen der Abelschen Zerfällungskörper prinzipiell richtig. Ich vermute, daß man hier für Nichtnullteiler die Bedingungen vom Charakter des “nicht rational” leichter erfüllt, die die Bedingung “Nichtnorm” ergänzen, falls die Sache komplizierter wird als im p-adischen.6)

Solche Ergänzungen sind ja natürlich nötig, wenn - wie im Brauerschen Beispiel - durch direkte Produktbildung der Exponent kleiner als der Index wird; die Nichtnormbedingungen sagen ja nur etwas über den Exponenten aus. Die Brauersche Konstruktion seines Beispiels basiert aber darauf, daß das Zentrum R(x,y) mit den beiden quadratischen Erweiterungskörpern R(x,y, V~ x) und R(x,y, V~ y-), also mit R( V~ x,y) und R(x, V~ y-) isomorph wird, was im absolut Algebraischen ja nicht eintreten kann.7) Vielleicht ist eine solche Isomorphie sogar notwendig, um den Exponenten herabzudrücken, ich weiß es nicht!

Sie sehen also, daß Ihre Frage wann direkte Produkte aus Schiefkörpern wieder solche werden, nicht einfach ist. Bei teilerfremden Graden ist es immer erfüllt; das haben Köthe und Brauer bewiesen; es ist Ihnen vielleicht auch bekannt.8)

Mit guten Weihnachts- und Neujahrswünschen, für Menschen und Schiefkörper, Ihre Emmy Noether.
         

Anmerkungen zum Dokument vom 24.12.1930

1Das “Schiffsbild” ist eine Porträt-Photographie von Emmy Noether, die Hasse im September 1930 bei einer gemeinsamen Schiffsfahrt über die Ostsee zur Jahrestagung der DMV in Königsberg aufgenommen hatte. - Das Bild ist publiziert in der Noether-Biographie von Auguste Dick ADi:1970 . Am 3. 5. 1970 schickte Frau Dick ein Exemplar der Biographie an Hasse; in ihrem Begleitschreiben dazu heißt es:

...Das Foto auf der Titelseite erfreut Sie wohl? Ich hatte dem Verlag auch ein Bild aus dem Archiv der Universität Göttingen angeboten, von einem Berufsfotografen aufgenommen, Emmy Noether in feierlicher Positur. Man hat Ihre Aufnahme vorgezogen, und ich bin froh darüber...

Auch wir haben hier das Schiffsbild vorgezogen. - Zum Schiffsbild vgl. auch den Brief * vom 2.12.1931.

2“Mapha” war eine studentische Vereinigung von Mathematik- und Physikstudenten. Offenbar aus Anlass einer studentischen Fete hatte die Mapha in scherzhafter Weise eine Photomontage hergestellt: Auf dem Photo eines afrikanischen Marktes, auf welchem Marktfrauen ihre Waren anbieten, hatte man einer Marktfrau den Kopf von Emmy Noether aus dem “Schiffsbild” montiert. Möglicherweise hatte man für andere Göttinger Professoren ähnliche Scherz-Bilder angefertigt.

3Dieses Wort soll offenbar andeuten, dass Noether mit dem Stil Alberts nicht einverstanden war. Albert war ein Schüler von Dickson und benutzte in seinen Arbeiten - wenigstens anfangs - die Art und Weise der Darstellung, wie sie auch bei Dickson zu finden ist. Ganz verschieden davon ist die abstrakte Denkweise, die sich in dem Stil der Noetherschen Arbeiten und ihrer Schüler niederschlägt.

4Die heutige Terminologie ist “Tensorprodukt” statt “direktes Produkt”.

5Die Gruppe G ist das direkte Produkt der Gruppen G1 = <b1> und G2 = <b2>. Die 2-Kohomologie von G ist jedoch nicht das direkte Produkt der 2-Kohomologie von G1 mit der von G2, sondern es sind noch die sog. Künnethschen Formeln zu beachten. Der Faktor c repräsentiert das durch die Künnethschen Formeln gegebene Zusatzglied. Man beachte, dass es zu Noethers Zeiten noch keine systematische Kohomologietheorie für Gruppen gab; diese hat sich vielmehr aus den mannigfachen Erfahrungen aus dem Rechnen mit Faktorensystem heraus entwickelt. Hier sehen wir ein Beispiel, wie Noether solchen Erfahrungen begegnete.

6Die Arbeit von Hasse über p-adische Schiefkörper Has:1931 war zum Zeitpunkt dieses Briefes noch nicht erschienen, aber Noether kannte ihren Inhalt. Vgl. Brief * vom 25. 6. 1930. Hasse hatte in der Arbeit gezeigt, dass über einem p-adischen Körper jeder Schiefkörper ein zyklisches verschränktes Produkt ist. - Noether hatte offenbar im Sinn, für ein verschränktes Produkt mit abelscher Galoisgruppe ein Kriterium für Nullteilerfreiheit zu finden. Albert hatte ein solches Kriterium in Form der Unlösbarkeit gewisser diophantischer Gleichungen aufgestellt, aber das ist im Einzelfall schwer zu verifizieren. Die endgültige Lösung der Frage - und nicht nur bei abelschen verschränkten Produkten - wurde schliesslich durch die Hasse-Invarianten von Algebren geliefert Has:1933 - jedenfalls wenn der Grundkörper ein globaler Körper ist. Der Exponent einer Algebra ist nämlich bestimmt als der Hauptnenner aller ihrer Hasse-Invarianten; wenn dieser gleich dem Rang der Algebra ist, dann handelt es sich um einen Schiefkörper.

7Das Brauersche Beispiel findet sich in seiner Arbeit Bra:1930 . Der Grundkörper ist dabei der rationale Funktionenkörper in zwei Variablen über Q. - Später, 1932, diskutierte Albert Alb:1930a dieselbe Konstruktion weil, wie er sagte, die Brauersche Argumentation im allgemeinen falsch sei. Er räumte jedoch in einer Fußnote am Schluss der Arbeit ein, dass es sich um ein Problem der “interpretation of language, rather than a mathematical error” handele. In Wahrheit sind beide Arbeiten korrekt, Brauers sowohl als Alberts. Die Konstruktionen von Albert sind allgemeiner als die von Brauer. Albert gelang es, nicht-zyklische Divisionsalgebren vom Index 4 zu konstruieren, während Brauer die verwandte, aber nicht identische Frage beantwortet hatte, ob es Algebren vom Index 4 gibt, deren Exponent kleiner als der Index ist. - Bemerkung: In Cur:1999 wird irrtümlich behauptet, dass Brauer Bra:1930 der erste gewesen sei, der eine nicht-zyklische Divisionsalgebra vom Index 4 konstruiert habe, und dies wird in FeSch:2005 wiederholt. In Wahrheit wurde diese Frage in Bra:1930 nicht diskutiert, und Albert in Alb:1930a gebührt die Priorität dafür.

8Die Köthesche Arbeit Koe:1931 erschien in den Mathematischen Annalen. Diese Arbeit wurde jedoch erst im Anschluss an die Brauersche Arbeit Bra:1930 geschrieben, in welcher der Satz ebenfalls steht; dabei handelt sich um dieselbe Arbeit, die Noether oben im Zusammenhang mit dem “Brauerschen Beispiel” zitiert. Wenn sie jetzt Köthe zuerst zitiert und nicht Brauer, dann mag das daran liegen, dass sie über die Kötheschen Arbeiten besser informiert war, weil sich Köthe damals in Göttingen aufhielt. - Derselbe Satz wurde ungefähr zur selben Zeit unabhängig auch von Albert bewiesen Alb:1931a . Übrigens: Wenn der Grundkörper ein Zahlkörper ist, so gilt auch die Umkehrung des Satzes; das folgt z. Bsp. aus den späteren Resultaten in der gemeinsamen Arbeit von Brauer-Hasse-Noether BraHasNoe:1932 .