Inhalt:
Hasses hyperkomplexe p-adik. Begründung der Klassenkörpertheorie im Kleinen.
Frankfurt/M.1) 25. 6.
30
Eschersheim
Haeberlinstr. 53
Lieber Herr Hasse!
Ihre hyperkomplexe p-adik hat mir sehr viel Freude gemacht.2) An Blumenthal3) werde ich sie etwa 7. Juli weitergeben können, da er erst dann vom Charkower Kongreß zurück ist4); die Annalen drucken aber augenblicklich rasch. Wollen Sie, bei der Korrektur, nicht beim letzten § eine Anmerkung machen, über die ähnlichen Schlußweisen bei Prüfer - v. Neumann (Ihre Bezeichnung “Komponente” für ap weist ja schon darauf hin).5) Diese Schlußweise tritt jetzt bei Köthe6), Pietrkowski7) u.s.w. immer wieder auf. Das sollte man auch äußerlich bemerken.8) - Übrigens glaube ich nicht, daß Prüfer - v. Neumann zum Übergang von der Klassenkörpertheorie im Kleinen zu der im Großen ausreicht; Sätze über Idealklassen bekommen Sie ja auch jetzt nicht.9) Ich glaube, man wird hier direkt parallel-laufend mit der Idealgruppe statt mit Körperelementen arbeiten müssen, wie das Dedekind (Gött. Nachr. 95) schon in der Modultheorie gemacht hat.10)
In diesem Zusammenhang: aus der Klassenkörpertheorie im Kleinen folgt: ist Z zyklisch n-ten Grades über einem p-adischen Grundkörper K, so gibt es in K wenigstens ein Element a0, derart daß erst an Norm eines Z-Elements wird. Können Sie das direkt beweisen? Dann könnte man aus Ihren Schiefkörperergebnissen umgekehrt die Klassenkörpertheorie im Kleinen begründen; überlegt habe ich mir allerdings erst die erste Zeile des Isomorphiesatzes 1, S. 147 bei Ihnen; das andere ist Behauptung.11)
Beste Grüße, Ihre Emmy Noether.
1Im Sommersemester 1930 nahm Emmy Noether eine Gastprofessur in Frankfurt/M wahr, im Austausch mit Siegel, der in diesem Semester in Göttingen las. Diese Vorlesung von Siegel über analytische Zahlentheorie wurde von Noethers Schüler Deuring ausgearbeitet. Wie Martin Kneser in seinem Nachruf Kne:1987 auf Deuring berichtet, schrieb Emmy Noether aus Frankfurt auf einer Postkarte an Deuring: “Daß Sie die Siegel-Ausarbeitung machen, ist sehr schön; da kann ich im Winter seine halsbrecherischen Beweise in Ruhe lesen, was mir lieber ist als hören.”
2Hasse hatte an Noether seine Arbeit “Über -adische Schiefkörper und ihre Bedeutung für die Arithmetik hyperkomplexer Zahlsysteme” Has:1931 zur Publikation in den Mathematischen Annalen geschickt. Emmy Noether fungierte als inoffizielle Herausgeberin der Mathematischen Annalen. Die Arbeit trägt das Eingangsdatum 18. 6. 1930. Also hatte Noether das Manuskript innerhalb einer Woche gelesen. Allerdings hatte Hasse sie wohl schon früher über den Inhalt dieser Arbeit informiert. Vgl. die Anmerkungen zum Brief * vom 2. 10. 1929.
3Blumenthal war der geschäftsführende Herausgeber der Mathematischen Annalen.
4Die Universität Charkow war 1805 gegründet worden; dort befand sich auch das “Ukrainische Institut der Mathematischen Wissenschaften”, sowie die 1879 gegründete “Mathematische Gesellschaft zu Charkow”.
5Die Prüfersche Arbeit “Neue Begründung der algebraischen Zahlentheorie” Pru:1925 war in den Mathematischen Annalen erschienen. Bei v. Neumann handelt es sich um die Arbeit “Zur Prüferschen Theorie der idealen Zahlen” Neu:1926 in den Acta Szeged. Hasse hat offenbar die Anregung von Emmy Noether aufgegriffen, denn in §8 seiner Arbeit Has:1931 werden diese beiden Arbeiten von Prüfer und v. Neumann zitiert.
6Wahrscheinlich meint Noether die Arbeit “Abstrakte Theorie nichtkommutativer Ringe” Koe:1930 .
7“Theorie der unendlichen abelschen Gruppen” Pie:1931a , “Untergruppen und Quotientengruppen unendlicher abelscher Gruppen” Pie:1931b . Beide Arbeiten sind in den Mathematischen Annalen erschienen.
8Die von Noether angesprochene Schlussweise in §8 von Hasses Arbeit besteht im Übergang vom Lokalen ins Globale, genauer: die Charakterisierung globaler Bereiche durch ihre lokalen Komponenten. Zum Beispiel wird gezeigt, dass ein (Rechts- oder Links-)Ideal einer Maximalordnung durch seine lokalen Komponenten eindeutig bestimmt ist. Und dass es zu jedem System von lokalen Idealen, die gewissen natürlichen Bedingungen genügen, stets auch ein globales Ideal gibt. Usw. Noether sieht das als Teil einer allgemeinen Schlussweise, die sich auch in anderen Situationen bewährt.
9Hasse schwebte vor, dass man aus der lokalen Klassenkörpertheorie (“im Kleinen”) den Übergang zur globalen Klassenkörpertheorie finden müsse. Bis heute ist das nicht in befriedigender Weise gelungen; die Idealklassen (oder Idelklassen) spalten sich eben nicht in lokale Komponenten auf. Noether hat dies, wie wir sehen, bereits damals erkannt.
10Dedekind hatte im Jahre 1895 zwei Arbeiten in den Göttinger Nachrichten publiziert. Offenbar meint Noether hier die zweite Arbeit Ded:1895 , mit dem Titel: “Über eine Erweiterung des Symbols (a, b) in der Theorie der Moduln”. Dort liefert Dedekind eine modultheoretische Begründung der Theorie der Relativnormen von Idealen. Zu dieser Arbeit sagt Noether in den Gesammelten mathematischen Werken Ded:1932 von Dedekind, dass sie “im Großen auf arithmetische Fragen noch nicht angewandt wurde”, und sie fügt hinzu, dass die Arbeit für die Theorie der Relativkörper noch von Bedeutung werden könne.
11Gemeint ist der Isomorphiesatz 1 in Hasses Arbeit “Die Normenresttheorie als Klassenkörper im Kleinen” Has:1930 in Crelles Journal. Die erste Zeile des in Rede stehende Satzes lautet (mit den hier von Noether benutzten Bezeichnungen): Die Galoissche Gruppe von Z|K ist isomorph zur Normklassengruppe K×/NZ×. Dieser Satz war im Rahmen der lokalen Klassenkörpertheorie von Hasse Has:1930 und F. K. Schmidt FKS:1930 bewiesen worden (publiziert im Crelleschen Journal), doch beruhte die dortige Begründung auf der globalen Klassenkörpertheorie. Genauer: der Isomorphismus wird geliefert durch das p-adische Normenrestsymbol, das jedoch damals von Hasse nicht völlig im Lokalen definiert werden konnte, sondern wozu er die globale Klassenkörpertheorie heranziehen musste. Hier wünscht nun Noether einen “direkten” Beweis, also ohne Berufung auf die globale Klassenkörpertheorie.
Der Beweis lässt sich tatsächlich direkt führen, als unmittelbare Folge aus der Hasseschen Theorie der -adischen Schiefkörper, auf die sich Noether in dem vorliegenden Brief bezieht. Aber es scheint so, dass Hasse selbst diesen Weg nicht sofort gesehen hat und also Emmy Noethers Frage mit “nein” oder “ich weiß nicht” beantwortet hat; wir schließen das aus einer Bemerkung Noethers in ihrem späteren Brief * vom 2. 5. 1932.
Die Noethersche Frage läuft darauf hinaus, ob man a Z so wählen kann, dass das verschränkte Produkt (a,Z,S) den genauen Exponenten n besitzt; dabei bedeutet S eine Erzeugende der Galoisgruppe von Z|K, auf deren Wahl es nicht ankommt. Nun zeigt Hasse in der Arbeit Has:1931 über -adische Schiefkörper, dass es über K eine ausgezeichnete Divisionsalgebra vom Exponenten n gibt, nämlich das verschränkte Produkt D = (,W,F), wobei ein Primelement von K ist, W die unverzweigte Erweiterung von K vom Grad n und F der Frobenius-Automorphismus von W|K. Demnach läuft die Noethersche Frage darauf hinaus, ob Z ein Zerfällungskörper von D ist, denn dann läßt sich Z in D einbetten, und somit kann D auch als verschränktes Produkt mit Z geschrieben werden: D = (a,Z,S) mit geeignetem a K, das die genaue Ordnung n in Bezug auf die Normfaktorgruppe aus L besitzt.
Später, nämlich in der gemeinsamen Arbeit BraHasNoe:1932 über den Hauptsatz der Algebrentheorie wird nun gezeigt, dass jeder Erweiterungskörper von K mit durch n teilbarem Grad ein Zerfällungskörper von D ist (Satz 3); dieser Beweis stammt von Hasse allein, und er benutzt dazu seine Ergebnisse aus der hier diskutierten Arbeit Has:1931 . Also hätte Hasse die Frage von Emmy Noether schon jetzt im positiven Sinne beantworten können.
Jedoch bereitete die darauf fußende Begründung der vollen lokalen Klassenkörpertheorie zunächst einige Schwierigkeiten beim Übergang von zyklischen zu abelschen Erweiterungen. Noether hat das in ihrem Züricher Vortrag 1932 zugegeben, wenn sie dort sagt, dass “noch neue algebraische Sätze über Faktorensysteme zu entwickeln waren”. Das erledigte Chevalley in einer Arbeit im Crelleschen Journal Che:1933 . Aus heutiger Sicht handelt es sich dabei um die Grundlagen der Kohomologietheorie, insbesondere um Restriktion, Inflation und Verlagerung. Vgl. dazu den Brief * vom 2. /3. 6. 1932.