Inhalt:
Vertrag für Hasses Zahlentheorie-Buch. Normen-Formulierung des Hauptidealproblems.
Produktsatz der Faktorensysteme. Deuring über Galoismoduln.
23. 3. 31
Lieber Herr Hasse!
Meinen Glückwunsch zum Vertragsschluß! Jetzt freue ich mich die Sache bald einmal im Zusammenhang zu lesen! 1)
Die Normen-Formulierung des Hauptidealproblems ist mir jetzt auch klar geworden; ich vermute daß bei konsequenter Fortentwicklung der verschränkten Produkte einmal die Lösung dastehen wird; aber nicht heute oder morgen! D.h. ich glaube man wird viel allgemeinere Fragen behandeln, dann wird es von selbst vernünftig.2)
Ihr Beweis für den Produktsatz der Faktorensysteme enthält aber in anderer Sprache all meine Schlüsse! Statt “Automorphismenring” sagen Sie: “mit den Matrizeneinheiten vertauschbare Elemente”, machen die Vorbemerkung über Invarianz (Artin, Dickson), wobei ich mich auf Operatorisomorphie berufe. Beim Nachweis daß der Rang stimmt, zählen Sie - wenn auch nicht explizit - die eS,T = eSuSuT-1 (die mir nicht bekannt waren) ab, während ich die absoluten Komponenten abzähle; alles andere ist wörtlich identisch! “Anschaulichkeit” ist doch ein “Relativbegriff”.3)
Meine Adresse ist ab 26. 3: Westerland - Sylt, Villa Richard.
Bei den Galoismoduln kann man, wie Deuring mir sagte, sich auf das Zentrum des Gruppenrings beschränken; weil unter den Klassen Konjugierter das Einselement eine Klasse für sich bildet. Das ist ein Gegenstück zu der zyklischen Erzeugung der Charaktere! Deuring hat sich hier die - wahrscheinlich schwierige - Frage nach dem Analogon des Kummerschen Körpers gestellt; also Gruppe einfach, Charaktere im Grundkörper.4)
Beste Grüße, Ihre Emmy Noether.
1Es handelt sich um den Abschluss eines Vertrages mit dem Springer-Verlag, demzufolge Hasse (zusammen mit Hensel) eine zweibändige “Zahlentheorie” verfassen würde, wobei der erste Band eine Einführung in die algebraische Zahlentheorie auf der Grundlage der Henselschen p-adik geben sollte, während der zweite Band, darauf aufbauend, u. a. die Klassenkörpertheorie behandeln sollte. Dieser Plan wurde niemals voll verwirklicht. Der erste Band konnte erst 1938 fertiggestellt werden und erschien mit nochmaliger Verspätung im Akademie-Verlag Has:1949 . Der zweite Band wurde infolge der rasanten Entwicklung der Klassenkörpertheorie niemals geschrieben; Hasse schlug später (1938) Chevalley als neuen Autor dafür vor, doch auch das wurde niemals realisiert.
2Es ist nicht ganz klar, was Emmy Noether hier unter “Normen-Formulierung des Hauptidealproblems” versteht. Möglicherweise bezieht sich “Hauptidealproblem” auf das Problem, dass jedes Ideal eines Zahlkörpers im absoluten Klassenkörper zu einem Hauptideal wird. Dann ist es jedoch schwierig, nachzuvollziehen, was Noether unter “Normen-Formulierung” versteht. Vielleicht sieht sie die Verlagerungsabbildung einer Gruppe in eine Untergruppe als eine “Norm” an, was in der Tat eine gewisse Berechtigung hat, da diese Verlagerung durch eine Determinante definiert werden kann, genauso wie die Norm im üblichen Sinne. Wenn diese Interpretation richtig ist, dann sucht also Noether nach einem hyperkomplexen Beweis des Verlagerungssatzes. Wir bemerken dazu, dass zwar das klassenkörpertheoretische Hauptidealproblem zum Zeitpunkt des vorliegenden Briefes durch Furtwängler Fur:1929 gelöst war, dass aber dessen Beweis allgemein als nicht zufriedenstellend angesehen wurde und man nach besseren Beweisen suchte. Wir zitieren dazu die Erinnerungen von Olga Taussky, publiziert in dem Buch:“Emmy Noether. A tribute to her life and her work”, ed. J. W. Brewer u. M. K. Smith Tau:1981 . Dort berichtet sie über ein Seminar 1931 bei Emmy Noether. Über den Furtwänglerschen Beweis heißt es:
“...Once the proof of Furtwängler of the Hauptidealsatz came up and Emmy repeated what almost everybody said, namely, that it was an unattractive proof.”
Vgl. auch den Brief * vom 8. 11. 1931, wo Noether von einem Seminar berichtet, an dem auch “Frl. Taussky” teilnimmt. Dieses von Noether erwähnte zahlentheoretische Seminar ist wohl dasjenige, an das sich Olga Taussky-Todd in ihrem obengenannten Artikel erinnert. Dass Noether nach einem Beweis mit Hilfe von verschränkten Produkten sucht, kann man auch aus ihrem Brief * vom 19. 12. 1930 (letzter Absatz) schliessen.
Die von vielen Seiten gesuchte Vereinfachung für den Hauptidealsatz wurde schliesslich von Iyanaga gegeben, der sich 1931/32 als Stipendiat in Hamburg aufhielt und bei Artin Vorlesungen über Klassenkörpertheorie hörte. Iyanagas Beweis wurde später in den Hamburger Abhandlungen publiziert Iya:1934 . Im Vorwort zu seiner Arbeit sagt er, dass “der größere Teil der Arbeit von Artin stammt”. Durch Zassenhaus, einem Doktoranden von Artin, fand dieser Beweis Eingang in die Lehrbuchliteratur. Sein Lehrbuch Zas:1937 beruhte auf Vorlesungen von Artin.
3Noether bezieht sich offenbar auf den von ihr in der Vorlesung gegebenen Beweis des Produktsatzes. Sind A,B einfache zentrale Algebren über einem Körper K, und werden diese durch Faktorensysteme a, bezw. b, dargestellt (in Bezug auf einen gemeinsamen galoisschen Zerfällungskörper L|K) dann wird das Tensorprodukt AKB durch das Produkt a,b, der beiden Faktorensysteme dargestellt. Dieser Satz findet sich in der Ausarbeitung der Noetherschen Vorlesung, die von Deuring angefertigt wurde, die aber zu Lebzeiten Noethers nicht veröffentlicht wurde (erst 1983 wurde sie in die Gesammelten Abhandlungen Noe:1983 von Emmy Noether aufgenommen). Die Ausarbeitung kursierte jedoch unter den interessierten Mathematikern. Hasse hatte davon Kenntnis, sodass sich Noether in dem Brief ohne weitere Erklärung darauf beziehen kann.
Im Frühjahr 1931 arbeitete Hasse an einem Manuskript in englischer Sprache, das er in einer amerikanischen Zeitschrift publizieren wollte (erschienen in den “Transactions of the AMS” Has:1932 ). Diese Arbeit wurde im Mai 1931 fertiggestellt und enthält eine ausführliche Darstellung der Theorie der zyklischen Algebren über einem algebraischen Zahlkörper. In dem Vorwort erläutert Hasse die Gründe, die ihn veranlassten, die Arbeit in einem amerikanischen Journal zu publizieren: “These results do not seem to be as well known in America as they should be on account of their importance.” Die Arbeit enthält u. a. eine ausführliche Darstellung der Noetherschen Theorie der Faktorensysteme; Emmy Noether hatte ihr Einverständnis dazu gegeben. Offenbar hatte Hasse ihr seinen Beweis des Produktsatzes mitgeteilt und dazu gesagt, er habe ihn anschaulicher dargestellt; in dem vorliegenden Brief finden wir nun ihre Erwiderung.
4Deuring hat seine Ideen offenbar nicht weitergeführt (vgl.dazu aber seine Arbeit “Anwendungen der Darstellungen von Gruppen durch lineare Substitutionen auf die Galoissche Theorie” in den Mathematischen Annalen Deu:1936 ). Die Frage nach einer Charakterisierung Galoisscher Körper in Verallgemeinerung der Kummerschen Theorie für abelsche Körper hat Hasse in späteren Jahren aufgenommen und in mehreren Artikeln bearbeitet. Vgl. “Invariante Kennzeichung galoisscher Körper” Has:1950 , sowie die dort angegebene Literatur. Allerdings reicht dabei das Zentrum des Gruppenringes nicht aus, wie es anscheinend Deuring in Aussicht gestellt hatte.