In den Bänden 193 (1924) und 194 (1924/25) des Crelleschen Journals finden wir acht Arbeiten von Hasse zum Reziprozitätsgesetz. Es ist aber nicht sicher, welche dieser Resultate er wirklich in Hamburg vorgetragen hat. Immerhin dürften uns diese Arbeiten einen gewissen Anhaltspunkt geben, wie denn die Zusammenarbeit, die wir in den ersten fünf Briefen vom Juli 1923 sehen, sich entwickelt haben mag. Im übrigen gibt es ein Manuskript Hasses über seinen Kolloquiumsvortrag in Marburg im September 1923, also einige Monate später. Wir wissen zwar nicht, ob einige der dort erwähnten Resultate erst nach dem 1.März gefunden wurden und also im Hamburger Vortrag noch nicht zur Sprache gekommen waren. Aber wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir uns auch an jenem Manuskript orientieren.
Die in Rede stehenden Arbeiten Hasses sind motiviert durch das Bestreben, das Hilbertsche Normsymbol lokal im Rahmen der Henselschen -adischen Theorie zu verstehen, d.h. zu definieren, die charakteristischen Eigenschaften herzuleiten und daraufhin auch explizite Formeln zu gewinnen. Wenn kein Teiler des Exponenten m ist, dann lässt sich das Hilbert-Symbol auf Grund der Formel (5) auf Seite 59 unmittelbar auf das lokal definierte Jacobi-Symbol (1) auf Seite 54 zurückführen. Das eigentliche Problem entsteht also für diejenigen Primdivisoren, die Teiler von m sind. In diesen Fällen wurde bislang das Hilbertsche Symbol indirekt definiert, mit Hilfe des globalen allgemeinen Reziprozitätsgesetzes. Hasse aber will, wie gesagt, die Untersuchung rein lokal führen.
Hasse diskutiert in diesen Arbeiten nur den Fall eines Primzahlexponenten m = ; das entsprach dem damaligen Wissensstand bevor Artins Reziprozitätsgesetz gefunden wurde. Der Fall = 2 ist ein Sonderfall, der einige zusätzliche Überlegungen erfordert; der Einfachheit halber wollen wir uns hier auf den Fall > 2 beschränken. Es wird angenommen, dass der zu untersuchende Körper k die -ten Einheitswurzeln enthält. Die Primteiler von im Körper k werden bei Hasse und auch in den Briefen von Artin stets mit bezeichnet; wir wollen das hier auch tun. Das Hilbertsche Symbol setzt sich vermöge -adischer Stetigkeit auf die komplette Hülle fort und daher kann, soweit die Diskussion lokal verläuft, k durch den zugehörigen Henselschen Körper ersetzt werden, d.h. durch seine -adische Komplettierung k.
In den ersten 3 Arbeiten [Has24c, Has25c, Has25f] versucht Hasse das Hilbertsche Symbol durch lokale Eigenschaften festzulegen. Es sei eine primitive -te Einheitswurzel. Hasse setzt das Hilbertsche Symbol in der Form = L an, sodass es nun auf die Festlegung von L = L(,) ankommt. Zunächst stellt Hasse fest, dass L(,) eine schiefsymmetrische Form auf dem -Vektorraum k×/k× ist, und zwar nichtausgeartet, d.h. mit nichtverschwindender Determinante. Die Dimension dieses Vektorraums ist 2 + r, wobei r der Grad von k ist; dies Resultat ist im wesentlichen Hensel zu verdanken, der bereits 1916 in [Hen16] explizit eine Basis der multiplikativen Gruppe k× angegeben hatte. Durch Transformation auf eine Normalform stellt Hasse fest, dass die Form L bis auf einen konstanten Faktor eindeutig bestimmt ist, d.h. bis auf eine Normierung der gewählten Einheitswurzel . Ihm gelingt diese Normierung in [Has25f] durch rein lokale Überlegungen im Falle, dass die absolute Verzweigungsordnung von k nicht durch teilbar ist, also insbesondere für den Körper der -ten Einheitswurzeln. Wenn das nicht der Fall ist, dann bleibt dies Problem offen, d.h. zur Normierung muss Hasse zunächst noch das globale Reziprozitätsgesetz heranziehen.
Nach diesen allgemeinen Sätzen kommt Hasse in [Has24b] auf explizite Formeln zu sprechen. Zunächst erhält er für den Umkehrfaktor:
| (10) |
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wobei:
Und dann weiter für den ersten Ergänzungssatz:
| (11) |
und für den zweiten Ergänzungssatz:
| (12) |
Der auf der rechten Seite bei jeweils auftretende Exponent S() ist eine ganze Zahl, auf die es nur modulo ankommt.
Hasse führt die Beweise durch Heranziehung der bereits oben erwähnten Henselschen Basis von k×/k× und detaillierte Diskussion der Eigenschaften dieser Basiselemente.
Diese Arbeit [Has24b] erschien erst 1924 in Band 154 des Crelleschen Journals. Hasse hat aber darüber bereits im September 1923 in Marburg vorgetragen, wie sein Vortragsmanuskript ausweist. Anscheinend hatte er diese Ergebnisse schon am 1.März 1923, als er in Hamburg vortrug, aber vielleicht noch nicht alle ausgearbeiteten Beweise.
Für uns ist der zweite Ergänzungssatz (12) von Interesse, weil sich die in Rede stehenden fünf Briefe von Artin darauf beziehen.