8.2 Das Jacobische Symbol

Das von Artin in seinem Brief angesprochene Jacobische Symbol (m)
 a ist das m-te Potenzrestsymbol in Bezug auf den fest gewählten Exponenten m. Von dem zugrunde liegenden Zahlkörper k wird dabei vorausgesetzt, dass er die m-ten Einheitswurzeln enthält. Wir haben die klassische Definition des Potenzrestsymbols schon auf Seite 54 angegeben, nämlich als m-te Einheitswurzel durch die Kongruenz

(  )
  m-     Npm-1
  p    =_  m    mod p .
(17)

Dabei ist p ein Primideal (teilerfremd zu m und m). Ferner wird (m)
 a als multiplikative Funktion des Nenners definiert. In dieser Weise ist (m)
 a nur dann definiert, wenn das Ideal a teilerfremd ist zu m und m.

Als einfache Folgerung aus seinem allgemeinen Reziprozitätsgesetz ergibt sich, wie Artin schreibt, die folgende Tatsache, die er im nächsten Brief Nr.9 und in späteren Briefen als die „(m a ) -Tatsache“ bezeichnet:

Das Jacobische Symbol ( )
 ma hängt nur ab von der Strahlklasse von a in Bezug auf den Körper k(m V~ m-), der aufgefasst wird als Klassenkörper über k.

In der Tat ist das unmittelbar zu sehen, wenn man die Definition (17) mit Hilfe des Frobenius-Automorphismus sp in der Form schreibt:

(  )      m V~  --
  m- =  sp V~ --m-;
  p      m m
(18)

Das Artinsche Reziprozitätsgesetz für k(m V~ m--)|k besagt ja gerade, dass s p und damit (m)
 p nur abhängt von der Strahlklasse von p. Dieselbe Formel (18) gilt (vermöge Multiplikativität) für einen beliebigen zu m und m teilerfremden Divisor a statt p.

Diese „(m )
  a-Tatsache“, schreibt Artin, habe schon Takagi als den wesentlichen Inhalt des Reziprozitätsgesetzes bezeichnet, und eben das habe Artin dazu geführt, die Bezeichnung „allgemeines Reziprozitätsgesetz“ für seinen Isomorphiesatz zu wählen.

Die von Artin erwähnte Stelle bei Takagi findet sich in Takagis zweiter großer Arbeit zur Klassenkörpertheorie [Tak22], mit dem Titel „Über das Reziprozitätsgesetz in einem beliebigen algebraischen Zahlkörper“, am Ende des dritten Absatzes der Einleitung. Den Hinweis auf diese Stelle bei Takagi hatte Artin schon in seiner L-Reihenarbeit 1923 [Art23b] gegeben. Hierzu ist folgendes zu sagen.

Takagi behandelte in der genannten Arbeit den Fall eines Primzahlexponenten m = l. Nur in diesem Falle war es ihm gelungen, die „(m)
 a-Tatsache“ zu beweisen (nämlich mit Hilfe des Eisensteinschen Reziprozitätsgesetzes) und daraus das allgemeine Reziprozitätsgesetz (2) (Seite 55) für das Jacobische Symbol zu erhalten. Die jetzt vorliegende Verallgemeinerung bezieht sich also darauf, dass m ein beliebiger Exponent sein darf.

Allerdings wird in Artins Brief nur die „(m )
  a-Tatsache“ verallgemeinert; dabei bleibt Artin stehen. Er sagt nicht, wie er im allgemeinen Fall aus der „(m )
  a-Tatsache“ das allgemeine Reziprozitätsgesetz (2) für einen beliebigen Exponenten m und beliebigen Grundkörper (der die m-ten Einheitswurzeln enthält) herzuleiten gedenkt. Es ist nicht einmal klar, ob er eine solche Herleitung bereits durchgeführt hatte. Vielleicht dachte er daran, dies mit Hilfe des Eisensteinschen Reziprozitätsgesetzes zu tun, wie es im Falle eines Primzahlexponenten m = l bisher gemacht wurde? Dazu hätte jedoch zunächst das Eisensteinsche Reziprozitätsgesetz auf den Fall eines beliebigen Exponenten verallgemeinert werden müssen.12 In jedem Falle ist es aber evident, dass Artin die „(  )
 ma-Tatsache“ deshalb erwähnt, weil er darin die Möglichkeit zum Beweis des allgemeinen Reziprozitätsgesetzes für das Jacobische Symbol sieht.

Aus den nächsten Briefen entnehmen wir, dass ihm Hasse eine ganz einfache Herleitung des allgemeinen Reziprozitätsgesetzes aus der „(m)
 a-Tatsache“ mitgeteilt hat, und zwar für beliebigen Exponenten m. Diese Herleitung basiert auf einer Idee von Furtwängler, die jener kürzlich im Falle m = l2 angewandt und die Hasse dann auf beliebigen Exponenten m ausgedehnt hatte. (Vgl. 9.4.) Diese Hasse-Furtwänglersche Methode hat Artin dann in seine Arbeit [Art27a] aufgenommen, wobei er sowohl Furtwängler als auch Hasse zitiert.

In der Literatur heißt es manchmal, dass das Artinsche Reziprozitätsgesetz „alle bekannten Reziprozitätsgesetze enthält“, wobei die Reziprozitätsgesetze für das Jacobische Symbol gemeint sind. Dabei wird übersehen, dass diese Reziprozitätsgesetze, soweit sie sich auf einen allgemeinen Exponenten m beziehen und nicht nur auf Spezialfälle, überhaupt erst mit Hilfe des Artinschen Reziprozitätsgesetzes bewiesen werden und damit als bekannt gelten konnten. Aus den Artinschen Briefen entnehmen wir, dass dabei Hasse und Furtwängler wesentliche Beiträge geleistet haben.