Das von Artin in seinem Brief angesprochene Jacobische Symbol
ist das
m-te Potenzrestsymbol in Bezug auf den fest gewählten Exponenten m. Von
dem zugrunde liegenden Zahlkörper k wird dabei vorausgesetzt, dass er
die m-ten Einheitswurzeln enthält. Wir haben die klassische Definition
des Potenzrestsymbols schon auf Seite 54 angegeben, nämlich als m-te
Einheitswurzel durch die Kongruenz
![]() | (17) |
Dabei ist
ein Primideal (teilerfremd zu m und
). Ferner wird
als
multiplikative Funktion des Nenners definiert. In dieser Weise ist
nur dann
definiert, wenn das Ideal
teilerfremd ist zu
und m.
Als einfache Folgerung aus seinem allgemeinen Reziprozitätsgesetz ergibt sich,
wie Artin schreibt, die folgende Tatsache, die er im nächsten Brief Nr.9 und in
späteren Briefen als die „(
a )
-Tatsache“ bezeichnet:
Das Jacobische Symbol
hängt nur ab von der Strahlklasse
von
in Bezug auf den Körper k(
), der aufgefasst wird als
Klassenkörper über k.
In der Tat ist das unmittelbar zu sehen, wenn man die Definition (17) mit Hilfe des
Frobenius-Automorphismus
in der Form schreibt:
![]() | (18) |
Das Artinsche Reziprozitätsgesetz für k()|k besagt ja gerade, dass
und
damit
nur abhängt von der Strahlklasse von
. Dieselbe Formel (18) gilt
(vermöge Multiplikativität) für einen beliebigen zu
und m teilerfremden Divisor
statt
.
Diese „-Tatsache“, schreibt Artin, habe schon Takagi als den wesentlichen
Inhalt des Reziprozitätsgesetzes bezeichnet, und eben das habe Artin dazu geführt,
die Bezeichnung „allgemeines Reziprozitätsgesetz“ für seinen Isomorphiesatz zu
wählen.
Die von Artin erwähnte Stelle bei Takagi findet sich in Takagis zweiter großer Arbeit zur Klassenkörpertheorie [Tak22], mit dem Titel „Über das Reziprozitätsgesetz in einem beliebigen algebraischen Zahlkörper“, am Ende des dritten Absatzes der Einleitung. Den Hinweis auf diese Stelle bei Takagi hatte Artin schon in seiner L-Reihenarbeit 1923 [Art23b] gegeben. Hierzu ist folgendes zu sagen.
Takagi behandelte in der genannten Arbeit den Fall eines Primzahlexponenten
m =
. Nur in diesem Falle war es ihm gelungen, die „
-Tatsache“ zu beweisen
(nämlich mit Hilfe des Eisensteinschen Reziprozitätsgesetzes) und daraus das
allgemeine Reziprozitätsgesetz (2) (Seite 55) für das Jacobische Symbol zu
erhalten. Die jetzt vorliegende Verallgemeinerung bezieht sich also darauf, dass m
ein beliebiger Exponent sein darf.
Allerdings wird in Artins Brief nur die „-Tatsache“ verallgemeinert; dabei
bleibt Artin stehen. Er sagt nicht, wie er im allgemeinen Fall aus der „
-Tatsache“
das allgemeine Reziprozitätsgesetz (2) für einen beliebigen Exponenten m und
beliebigen Grundkörper (der die m-ten Einheitswurzeln enthält) herzuleiten
gedenkt. Es ist nicht einmal klar, ob er eine solche Herleitung bereits
durchgeführt hatte. Vielleicht dachte er daran, dies mit Hilfe des Eisensteinschen
Reziprozitätsgesetzes zu tun, wie es im Falle eines Primzahlexponenten m =
bisher gemacht wurde? Dazu hätte jedoch zunächst das Eisensteinsche
Reziprozitätsgesetz auf den Fall eines beliebigen Exponenten verallgemeinert werden
müssen.12
In jedem Falle ist es aber evident, dass Artin die „
-Tatsache“ deshalb erwähnt,
weil er darin die Möglichkeit zum Beweis des allgemeinen Reziprozitätsgesetzes
für das Jacobische Symbol sieht.
Aus den nächsten Briefen entnehmen wir, dass ihm Hasse eine ganz einfache
Herleitung des allgemeinen Reziprozitätsgesetzes aus der „-Tatsache“
mitgeteilt hat, und zwar für beliebigen Exponenten m. Diese Herleitung
basiert auf einer Idee von Furtwängler, die jener kürzlich im Falle m =
2
angewandt und die Hasse dann auf beliebigen Exponenten m ausgedehnt hatte.
(Vgl. 9.4.) Diese Hasse-Furtwänglersche Methode hat Artin dann in seine
Arbeit [Art27a] aufgenommen, wobei er sowohl Furtwängler als auch Hasse
zitiert.
In der Literatur heißt es manchmal, dass das Artinsche Reziprozitätsgesetz „alle bekannten Reziprozitätsgesetze enthält“, wobei die Reziprozitätsgesetze für das Jacobische Symbol gemeint sind. Dabei wird übersehen, dass diese Reziprozitätsgesetze, soweit sie sich auf einen allgemeinen Exponenten m beziehen und nicht nur auf Spezialfälle, überhaupt erst mit Hilfe des Artinschen Reziprozitätsgesetzes bewiesen werden und damit als bekannt gelten konnten. Aus den Artinschen Briefen entnehmen wir, dass dabei Hasse und Furtwängler wesentliche Beiträge geleistet haben.