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07.09.1933, Noether an Hasse



Inhalt:

Nochmal: Gutachten. Noethers Pläne für Oxford, Bryn Mawr und Princeton. Noether nicht nach Würzburg. Nochmal Gauss’sche Summen. F.K.Schmidt. Schilling. Rückkehr von Deuring aus USA.


Göttingen, 6./7. 9.33

Lieber Herr Hasse!

Ich habe erst nach meiner Rückkehr vorige Woche - Ihr Oberstdorf-Aufenthalt ist doch wohl auch zu Ende? - gehört daß Sie auch zum Einreichen der Gutachten noch mit einem Brief helfen mußten. Also wirklich recht herzlichen Dank für alle Ihre Mühe! Wenn nicht für gleich, so helfen die Gutachten doch vielleicht für später! Und daß sie jetzt vorliegen, scheint mir nur richtig zu sein! 1)

Daß ich nach Weihnachten für einen Term nach Oxford gehen will, haben Sie ja durch Davenport gehört. Unterdes bekam ich noch eine Aufforderung für eine Research-Professur in Bryn Mawr für ein Jahr (1933/34), die ich für das folgende 34/35 angenommen habe. Ich habe noch keine Antwort darauf, denke aber daß die Verschiebung - ich kann ja nicht zugleich in England und Amerika sein - keine Schwierigkeiten macht. Das Stipendium kommt gemeinsam von Rockefeller und dem Komittee “in Aid of Displaced German Scholars”. Bryn Mawr ist übrigens wieder Frauen-College, aber wie Veblen mir nachträglich schrieb, das beste unter diesen; und außerdem so nahe bei Princeton daß ich oft rüberkommen sollte. Im übrigen muß man ja auch erst die hiesigen Entscheidungen abwarten.2) (Courant hat für den Winter eine Aufforderung nach Cambridge, Weyl hält bis Anfang Dezember Vorträge in Amerika; ob Landau liest, weiß man noch nicht.)

Ich hoffe daß aus der Vertretung von F.K. Schmidt etwas wird3), und daß auch Sie wieder einmal zu einem Vortrag in der Math. Gesellschaft - aber dann wenn ich da bin! - kommen. Denn nach Würzburg4) werde ich nach einem mir vernünftig scheinenden Vorschlag von Blaschke, den ich mit Rademacher an der See traf, vermutlich nicht kommen. Blaschke meinte, es käme vor allem darauf an, daß die Mathematiker-Vereinigung ihren rein wissenschaftlichen, neutralen Charakter bewahrt, und daß die andern Fragen überhaupt nicht aufgeworfen werden. Das könnte möglicherweise durch meine diesjährige Anwesenheit erschwert werden. Es scheint mir richtiger als der erste Vorschlag von Rademacher, man sollte erst recht alle Beurlaubten auffordern, da es sich um Mathematiker und nicht um Professoren handle; besonders deshalb auch richtiger weil vermutlich die meisten doch nicht kommen würden, und eine unnötige Prinzipienfrage entstünde. Blaschke dachte übrigens daran mit Ihnen auch über die ganzen Fragen zu korrespondieren; ich weiß nicht ob er es getan hat! Ich glaube er ist jetzt in Genf.

Ich habe mir jetzt nochmal Ihre Gauss’schen Summen angesehen. Was ich neulich schrieb, gibt gerade das “Algebraische” der Relationen; eine arithmetische Überlegung muß dann noch das Faktorensystem ym(m) bestimmen.

Ich benutze aus der Theorie der Galoismoduln: Ist K/k abelsch, aufgefaßt als hyperkomplex über k, so bilde ich die Erweiterung von k zu k, wo k aus k durch Adjunktion aller Charaktere der Gruppe5) entsteht. Dann wird Kk Summe von n Galoismoduln vom Rang eins, die den n Darstellungen ein-eindeutig entsprechen.6) Jede Darstellung entsteht durch ein Basiselement, Bild des Idempotents des Gruppenrings; die Basiselemente sind bis auf Faktoren aus k bestimmt. Seien t(x1), ..., t(xn) fest gewählte Basiselemente der n Galoismoduln, also tS(xi) = xi(S) . t(xi). Es folgt daß dem Produkt t(xi)t(xk) der Charakter xixk entspricht. Genauer: [t(xi)t(xk)]S = tS(xi)tS(xk) = xi(S)xk(S)t(xi)t(xk). Wegen des eineindeutigen Entsprechens von Galoismodul und Darstellung kommt also: t(xi)t(xk) = cikt(xixk), wo cik Element aus k. Dabei ist bei gewählter Basis cik eindeutig bestimmt; durch den Körper invariant bestimmt ist dagegen nur die Klasse der cik mit dem allgemeinen Element cik = rirk
rikcik, wo die r wieder in k. (Spezialfall Bestimmung einer reinen Gleichung modulo n-ten Potenzen im zyklischen; es handelt sich um die Invarianten, die Deuring auch im nichtabelschen Fall der Körper-Normalform zugrundelegen wollte.7)) Die Wiederholung dieser Schlußweise ergibt: “Läßt ein Charakter x die beiden Zerlegungen zu: x = y1...ys = f1...ft, so gilt für die zugehörigen Basiselemente: t(y1)...t(ys) = c.t(f1)...t(ft) mit c in k, c bei festem t eindeutig bestimmt, durch den Körper bis auf assoziierte invariant bestimmt.”

Eine solche Zerlegung liegt nun bei Ihren Relationen gerade vor:

           m- 1      m        m-1
y.(xy) ...(x   y) = (y ) .x...x   .
Die obige Überlegung ergibt also:8)
   prod       m            m     prod        m
G(x y) =  c.G(y  )        G(x  ),
m modm                   m/ =_ 0mod m
ganz allgemein; also auch für K Körper der p-ten Einheitswurzeln, wo nun G(x) das festgewählte, natürliche Basiselement der Gaußschen Summen sein soll (G(x) ist Basiselement zur Darstellung x-1; die Charakterenzerlegung gilt ja aber auch in der Form y-1(x-1y-1)... = (y-m) . x-1...). Da hier die Basis arithmetisch ausgezeichnet ist - der ganzzahlige Gruppenring ist gerade auf die Hauptordnung von K operatorisomorph abgebildet - ist natürlich auch das Faktorensystem arithmetisch ausgezeichnet, was Sie ja auch in Ihrer letzten Karte schon schrieben. Wegen dieser arithmetischen Auszeichnung müssen zur Bestimmung von c natürlich arithmetische Eigenschaften von K herangezogen werden. Die Zerlegung der Wurzelzahlen, aus der Sie, wie Davenport mir sagte, die Relationen genommen haben, erscheinen also, wenigstens für c = ym(m), das Natürliche.

Ihre Betrachtung mit dem verschränkten Produkt ist nur eine andere Deutung der Produktbildung der Galoismoduln bezw. ihrer Basiselemente, kann also auch nur den “algebraischen” Teil ergeben; das steht ja auch in Ihrer Karte. Die verschiedenen Deutungen der Galoismoduln scheinen mir aber an sich von Interesse.

Schilling9) hat mir Ende Juli über Marburg berichtet. Die ganzen hyperkomplexen Deutungen zur Klassenkörpertheorie - mehr ist einstweilen nicht übrig geblieben - werde ich jetzt aufschreiben.10) Deuring kommt heute in Bremen an - er hat sich Amerika noch etwas angesehen - ich werde ihm sagen daß er seinen arithmetischen Beweis des Bauerschen Satzes (falls er stimmt) bald aufschreibt.11) Das waren die Bestellungen von Schilling.

Herzliche Grüße, Ihre Emmy Noether.

Wie geht es der Riemannschen Vermutung der Funktionenkörper?
            

Anmerkungen zum Dokument vom 7.9.1933

1Betr. Gutachten vgl. den vorangegangenen Brief * vom 21. 7. 1933, sowie den früheren Brief * vom 21. 6. 1933.

2Emmy Noether erklärt ihre Pläne für die beiden kommenden Jahre, weil sie in Göttingen entlassen worden war. Was uns hier und auch in ihren anderen Briefen aus dieser Zeit auffällt, ist das Fehlen einer Klage oder Anklage wegen ihrer Entlassung, obwohl sich dadurch ihr äußeres Leben in einschneidender Weise verändern wird, was ihr durchaus bewusst war. Auch scheint immer wieder ihr Optimismus durch, nämlich dass alles nur eine vorübergehende Sache sei und bald wieder “normale” Verhältnisse eintreten würden. Und vor allem: Nach wie vor sind ihre Briefe voll mit mathematischen Ideen.

3F. K. Schmidt, damals Privatdozent in Erlangen, wurde auf Vorschlag von Courant als Vertreter von Weyl nach Göttingen berufen. Er wirkte in dieser Eigenschaft in Göttingen in den Jahren 1933/34 und wurde danach als o. Professor nach Jena berufen.

4zur Jahrestagung der Deutschen Mathematiker Vereinigung. Vgl. dazu auch den vorangegangenen Brief * vom 21.7.1933.

5gemeint ist die Adjunktion der Werte aller Charaktere der Galoisgruppe von K über k.

6Offenbar bedeutet n den Körpergrad: n = [K : k].

7Hasse hat später diese Normalformen sowohl im abelschen Fall als auch für beliebige Galoissche Erweiterungen in mehreren Publikationen in den Jahren 1948-1950 genauer untersucht.

8Die folgende Formel wurde von Hasse im Juni 1933 entdeckt, nachdem Davenport sie in einem Spezialfall (m = 2) gefunden hatte. Das ergibt sich aus der Korrespondenz von Hasse mit Davenport. Letzterer hielt sich im Sommersemester 1933 in Göttingen auf und besuchte Hasse in Marburg öfters an den Wochenenden; es gibt aber auch Briefe aus dieser Zeit zwischen Marburg und Göttingen, welche zeigen, dass Hasse und Davenport intensiv mit der Untersuchung von Gauß’schen Summen beschäftigt waren, da diese zur Darstellung der Nullstellen der Zeta-Funktion eines Funktionenkörpers mit der Gleichung xm+yn = 1 führen.

Es handelt sich in der Formel um folgende Situation: x und y sind Charaktere der Galoisgruppe des Körpers der p-ten Einheitswurzeln (p eine ungerade Primzahl); m und n sind die Ordnungen dieser Charaktere. Noether schreibt G(x) für die Gauss’sche Summe zu x (bei Hasse heißt es t(x) - jedoch mit einer anderen Normierung, sodass t(x) Basiselement zur Darstellung x wird). Wie Noether auseinandersetzt, gilt die angegebene Formel für eine “gewisse” Konstante c im Körper der (p - 1)-ten Einheitswurzeln. Dies folgt allein aus den “algebraischen” Überlegungen, die Noether auseinandersetzt. Durch Bestimmung der Primzerlegung der Gauss’schen Summen konnte Hasse zunächst beweisen, dass c eine m-te Einheitswurzel ist. Er vermutete (und konnte das danach auch beweisen), dass c = ym(m) ist. Offenbar hatte er diese Vermutung Emmy Noether mitgeteilt, da dies in dem Brief angesprochen wird.

Der Beweis findet sich schliesslich in der gemeinsamen Arbeit von Hasse und Davenport im Crelleschen Journal DavHas:1934 . Siehe dort die Formeln (0.91) und (0.92). Dort ist die Situation noch allgemeiner, indem x, y multiplikative Charaktere irgendeines endlichen Körpers Fpn sind (nicht nur von Fp).

9Zu Schilling vgl. Brief * vom 10. 5. 1933.

10Hier bezieht sich Noether wieder auf die Ausführungen in ihrem Brief * vom 21. 6. 33. Hasse hatte darum gebeten, dass sie ihre Ideen einmal zu Papier bringt.

11Offenbar hatte sich Hasse nach dem Stand des Deuringschen Manuskripts erkundigt, von dem ihm Noether im Brief * vom 21. 7. 1933 berichtet hatte. Die Deuringsche Arbeit Deu:1935 wurde dann von Hasse für das Crellesche Journal angenommen.