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08.11.1931, Noether an Hasse



Inhalt:

Trivialisierung und Verallgemeinerung der Hasseschen Resultate (auflösbar darstellbare Algebren sind zyklisch). Deuring schreibt den Ergebnis-Bericht über Algebren.


Göttingen, 8. 11. 31

Lieber Herr Hasse!

Besten Dank für Ihre Karte! Beiliegend Trivialisierung und Verallgemeinerung Ihrer Resultate.1)

Ich dachte schon ob Sie das nicht auch als Anhang zu Ihrer Note bringen könnten; denn tatsächlich handelt es sich nur um Ihre Schlüsse - der Reduktionssatz steht implizit in Ihrer letzten Karte mit der Bemerkung, daß das Faktorensystem inbezug auf jeden einer zyklischen Untergruppe entsprechenden Ausschnitt äquivalent 1 - und doch kommt dabei heraus, daß auch jede auflösbare Algebra zyklisch.2) Sie dürfen übrigens beliebig umstilisieren; und die Bezeichnungen noch stärker an Ihre angleichen; auch einen Einleitungs- bezw. Überleitungssatz zufügen. Mir ist auch getrennte Publikation recht; aber dann wird es wohl nicht ins Henselheft kommen können?

Mir scheint jetzt daß man für den allgemeinen Fall außer den nichtgaloisschen Faktorensystemen auch noch neue zahlentheoretische Sätze braucht. Bestimmtes kann man natürlich nicht vorhersagen. Was mich mehr interessiert, ist die Frage der hyperkomplexen Bedeutung des ursprünglichen Hilbert-Furtwänglerschen Beweises; aber das heißt natürlich ein ganzes Stück Klassenkörpertheorie umzudeuten! 3)

In diesem Zusammenhang möchte ich Sie um ein Korrekturexemplar der amerikanischen Arbeit bitten falls schon eines existiert! 4) Ich mache jetzt ein zahlentheoretisches Seminar: Klassenkörpertheorie im Kleinen, Artinsche Führer, Hauptidealsatz (Frl. Taussky ist ja hier), u.s.w.; es sollen die vorliegenden Beweise vorgetragen werden, aber mein persönliches Ziel ist die Sachen dabei hyperkomplex zu verstehen.5) Daß ich aus Ihrem Beweis für die abelschen Algebren die Diskussion der Assoziativitätsbedingungen hinausgeworfen habe, kann ja auch für den Beweis des Hauptidealsatzes noch Bedeutung bekommen! 6)

Für den dem Zentralblatt zuzufügenden “Bericht über neuere Fortschritte” (oder so ähnlich) hat Deuring den hyperkomplexen übernommen, etwa 80-100 Seiten; es soll bis Ende Mai abgeschlossen sein, wie es dann mit Erscheinen steht weiß ich nicht. Jedenfalls soll alles Neue mit hinein! 7)

Beste Grüße, Ihre Emmy Noether.

Anlage zum Brief Noether an Hasse vom 08. 11. 31.8)

Reduktionssatz für Zerfällungskörper.

Es handelt sich um einfache Algebren A, D mit Zentrum k, wo k algebraischer Zahlkörper; unter (A) wird die Klasse aller zu A ähnlichen verstanden, d.h. aller mit demselben Automorphismenkörper (derselben zugeordneten Divisionsalgebra).

Reduktionssatz: Ist (D) überall zerfallend - d.h. an jeder Stelle voller Matrizenring - K|k Zerfällungskörper von (D) und L Zwischenkörper derart, dass K|L zyklisch von Primzahlgrad, so ist auch L|k Zerfällungskörper.

Bemerkung. An zahlentheoretischen Hilfsmitteln wird zum Beweis nur der Hilbert-Furtwänglersche Normensatz für Primzahlgrad benutzt; der Hassesche Normensatz ergibt sich als Folgerung.

Beweis. Sei /\ zu L isomorph; mit (D) ist auch (D/\) überall zerfallend. Aber (D/\) besitzt zyklischen Zerfällungskörper K|/\ von Primzahlgrad; also folgt - nach Hilbertschem Normensatz - (D/\) = (/\), also L Zerfällungskörper (denn überall zerfallend heißt hier uSl = a mit a Norm an jeder Stelle, also auch Norm eines Elements aus /\, also (D/\) = (/\)).

Folgerung 1. Ist (D) überall zerfallend und besitzt auflösbaren Zerfällungskörper K|k, so wird (D) = (k) also voller Matrizenring, m.a.W. ist (D) auflösbare Klasse und ist das Faktorensystem an jeder Stelle assoziiert 1, so absolut assoziiert 1.

Denn ist K,L1,L2,...Ls-1 eine Kompositionsreihe von Zwischenkörpern derart, dass Li+1|Li zyklisch von Primzahlgrad, so ergibt der Reduktionssatz wiederholt angewandt die Behauptung.

Spezialfall der Folgerung. Wenn Z|k zyklisch, so Normensatz von Hasse (ist a an jeder Stelle Norm, so absolut).

Folgerung 2. Ist (A) auflösbare Klasse und ist (A)/=(k), so verzweigt, d.h. die Diskriminante nach Zentrum /=1. (Andere Fassung von Folgerung 1; unter Beachtung, dass unverzweigt gleich überall zerfallend nach Hasse, Schiefkörper).

Folgerung 3. Besitzt (A) auflösbaren Zerfällungskörper, so auch zyklischen, also auflösbare Klasse ist zyklisch. Folgt vermöge der Reduktion von Hasse direkt aus Folgerung 1, unter Beachtung, dass ein auflösbarer Körper K|k auch auflösbar über Z bleibt, wo Z zyklischer Zwischenkörper.

Folgerung 4. Die Frage, ob jede Klasse (A) zyklisch ist, ist gleichbedeutend mit der Frage, ob für jede Klasse (A) minimaler Zerfällungskörper existiert, der galoissch.

Beweis. 1. Wenn zyklischer Zerfällungskörper existiert, so auch minimaler, der zyklisch, also galoissch. Dabei ist unter “minimaler” nur verstanden, dass kein echter Teilkörper Zerfällungskörper (im zyklischen Falle gibt es aber dann nach Hasse auch einen in den Automorphismenkörper einbettbaren). - 2. Wenn alle (A) minimale Zerfällungskörper besitzen, die galoissch, so auch die überall zerfallenden (D), dann aber notwendig (D) = (k). Denn sei im Gegenteil K/=k minimaler Zerfällungskörper und Galoissch; sei K|L zyklisch von Primzahlgrad und also L echter Teilkörper. Dann auch L Zerfällungskörper nach Reduktionssatz; also K nicht minimal. Widerspruch. Also jedes (A) zyklisch nach Folgerung 3.

Folgerung 5. Ist (D) überall zerfallend, so sind neben einem Zerfällungskörper K auch alle solchen Unterkörper T Zerfällungskörper für die K|T auflösbar ist (wie Folgerung 1 zu beweisen).
         

Anmerkungen zum Dokument vom 8.11.1931

1Noether bezieht sich hier auf Hasses Manuskript, in welchem nachgewiesen wird, dass alle abelsch darstellbaren Algebren über Zahlkörpern zyklisch sind. Hasse hatte ihr dieses Manuskript geschickt, wie aus dem vorangehenden Brief * vom 27. 10. 1931 hervorgeht. Noether schickt nun ihrerseits ein Manuskript, in dem die Hasseschen Schlussweisen sehr vereinfacht werden, und zwar so stark, dass Noether von “Trivialisierung” spricht. Dabei stellt sich heraus, dass - mit dieser Vereinfachung - das Hassesche Resultat auf auflösbar darstellbare statt nur abelsch darstellbare verallgemeinert wird. Da Hasse vorhatte, sein Manuskript in dem Hensel-Festband zu publizieren, so schlägt Noether vor, dass ihr Manuskript als “Anhang” in das Hassesche Manuskript aufgenommen wird, denn sonst käme es wohl nicht mehr in den Hensel-Festband. - Diese Publikationspläne wurden jedoch schon am nächsten Tag gegenstandslos, weil Hasse die Noethersche Schlussweise mit der ihm von Brauer mitgeteilten Sylow-Methode verbinden konnte und somit der Hauptsatz gefunden wurde, dass jede einfache zentrale Algebra über einem Zahlkörper zyklisch ist. Hasse hat dann in aller Eile sein Manuskript gegen das neue, das gemeinsam mit Brauer und Noether zustande kam, ausgetauscht. Siehe dazu die folgende Postkarte vom 10. 11. 1931 und unsere Anmerkung 6 dazu.

2Noether benutzt eine etwas andere Terminologie als Hasse; bei ihr bedeutet “auflösbare Algebra” das, was Hasse als “auflösbar darstellbare Algebra” bezeichnet. Vgl. die Anmerkung 1 zum vorangehenden Brief * vom 27. 10. 1931.

3Der “Hilbert-Furtwänglersche Satz” bezieht sich auf zyklische Zahlkörper-Erweiterungen von Primzahlgrad und besagt, dass eine Zahl des Grundkörpers dann und nur dann eine Norm des Erweiterungskörpers ist, wenn sie lokale Norm an jeder Primstelle (einschließlich der unendlichen Primstellen) ist. Dieser Satz wurde bereits von Hasse - auf Anregung von Emmy Noether - algebrentheoretisch umgedeutet (d.h. “hyperkomplex” in der Noetherschen Terminologie) , nämlich als Lokal-Global Prinzip für zyklische Algebren von Primzahlindex. Nunmehr möchte Noether nicht nur den Satz, sondern auch seinen Beweis algebrentheoretisch umdeuten. Der ursprüngliche Beweis von Furtwängler, der auch in dem Hasseschen Klassenkörperbericht (Teil II) Has:1930a dargestellt ist, benutzt analytische Eigenschaften der Dedekindschen Zetafunktion. Die “algebrentheoretische Umdeutung” im Noetherschen Sinne soll wohl insbesondere beinhalten, dass der Beweis ohne analytische Hilfsmittel durchgeführt wird, also rein algebraisch. Noether versucht also jetzt zum Kern der Dinge vorzudringen.

4Die amerikanische Arbeit Hasses, die von Albert referiert worden war, erschien mit Verzögerung erst 1932 in den Transactions AMS Has:1932 . Damals war es üblich, Korrekturexemplare sozusagen als “Preprints” an interessierte Kollegen zu verschicken. Zur vorliegenden Arbeit in den Transactions hatte allerdings Hasse die Korrekturexemplare niemals bekommen, wahrscheinlich infolge eines organisatorischen Fehlers der Redaktion. (Daher musste im selben Band der Transactions noch eine gesonderte “Additional Note” erscheinen mit den umfangreichen Korrekturen von Hasse.)

5Vgl. die Anmerkung 2 zu der Postkarte * vom 23. 3. 1931.

6Noether bezieht sich hier wieder auf ihre “Trivialisierung und Verallgemeinerung” der Hasseschen Resultate. Wenn sie schreibt, dass sie aus Hasses Beweis die Diskussion der Assoziativitätsbedingungen hinausgeworfen habe, so lässt das auf die Struktur des ursprünglichen Hasseschen Beweises schliessen, obwohl wir diesen Beweis nicht kennen - er wurde ja durch die Ereignisse, die in den nächsten Briefen zutage treten, überholt. Nach Noethers Worten ist anzunehmen, dass in Hasses Beweis die Assoziativitätsbedingungen für Faktorsysteme explizit diskutiert wurden. Wir beziehen uns nun auf die Anmerkung 2 zur Postkarte * vom 24. 8. 1931; anscheinend hatte Hasse im Falle eines abelschen Zerfällungskörpers den dort skizzierten Ansatz durchführen können. Mit Hilfe des Lokal-Global-Prinzips für quadratische Formen hat er aus einer gewissen Basis ein Faktorensystem destillieren können, von dem er nun nachweisen konnte, dass es zerfällt. All das ist nun unnötig geworden im Hinblick auf Noethers “Trivialisierung und Verallgemeinerung”.

7Es handelt sich um die Publikationsreihe “Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete”, die soeben vom Springer-Verlag eingerichtet worden war und von der Schriftleitung des (ebenfalls soeben gegründeten) Zentralblatts für Mathematik herausgegeben wurde. Diese Reihe sollte die früher von der DMV herausgegebenen Berichte (zu denen z.Bsp. der Hilbertsche Zahlbericht Hil:1897 und der Hassesche Klassenkörperbericht Has:1930a gehörte) ersetzen. Emmy Noether war aufgefordert worden, dafür einen Band über “Hyperkomplexe Systeme” zu schreiben. Sie hat das jedoch nicht übernommen, sondern schlug Max Deuring, ihren “besten Schüler”, dafür vor. Deuring, damals 24 Jahre alt, lieferte dann den bekannten Ergebnis-Band Deu:1935b , den er jedoch “Algebren” betitelte, womit er sich der damals modernen Terminologie anschloss. Dieser Band gilt als einer der herausragenden Ergebnis-Bände der Reihe.

Wie aus dem Archiv des Springer-Verlages ersichtlich, wurde der Vertrag über Deurings Buch mit dem Springer-Verlag am 19. 9. 1931 abgeschlossen. Vertraglich vorgesehen waren, wie auch Noether schreibt, zunächst 5 Druckbogen, also 80 Seiten. Weder dies, noch der Zeitlimit “bis Ende Mai 1932” wurde jedoch eingehalten. Als Deuring schließlich am 27. 10. 1934 das Manuskript ablieferte, hatte es den Umfang von 10 Druckbogen. Beides, die Zeitüberschreitung und die Umfangsüberschreitung, wurde schließlich von Ferdinand Springer genehmigt, nicht zuletzt aufgrund der eindringlichen Fürsprache von Emmy Noether, die sich noch von Bryn Mawr aus dafür einsetzte.

Als Kuriosität sei bemerkt, dass zur selben Zeit wie Deuring (also 1931) A. A. Albert in Chicago aufgefordert wurde, ebenfalls einen Ergebnis-Band über Algebren zu schreiben. Albert sagte zu, erhielt jedoch einige Monate später von Neugebauer (damals Schriftleiter des Zentralblatts) eine Absage mit der Begründung, er (Neugebauer) habe nicht gewusst, dass “Algebren” und “hyperkomplexe Systeme” dasselbe seien, und Deuring habe ja nun schon das Thema “hyperkomplexe Systeme” übernommen.

8Diese Anlage war mit Schreibmaschine geschrieben, war also wahrscheinlich dazu bestimmt, direkt der Hasseschen Note als Anhang hinzugefügt zu werden, so wie es Noether in ihrem Brief vorgeschlagen hat. Die Verallgemeinerung gegenüber dem Hasseschen Resultat besteht darin, dass jetzt auflösbar dargestellte Algebren als zyklisch nachgewiesen werden, während Hasse das nur für abelsch dargestellte Algebren bewiesen hatte. Wenn Noether sagt, es handelt sich außer der Verallgemeinerung um eine Trivialisierung, so ist das unmittelbar ersichtlich. Es werden nur triviale Schlussweisen benutzt, ausgehend von dem (allerdings nicht trivialen) Reduktionssatz von Hasse, der auf der Takagischen Klassenkörpertheorie fußt. Offenbar hatte Hasse diesen einfachen Induktionsschluss nicht gesehen. Vgl. den letzten Satz in Noethers Brief * vom 22. 11. 1931.