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12.11.1931, Noether an Hasse



Inhalt:

N.s Kommentare zu der von H. redigierten gemeinsamen Arbeit. N.s Arbeits- und Auffassungsmethoden. Albert.


Göttingen, 12. 11. 31

Lieber Herr Hasse!

Das ist jetzt sehr schön, und äußerst bequem für uns daß wir keine Mühe mit dem Text hatten! Ich meine aber, Sie sollten in einer Fußnote angeben, daß Sie den Text redigiert haben - wenn man auch Ihren Stil erkennt; schon deshalb weil wir andern in den Fußnoten eine “Verbeugung” bekommen, und Sie nicht! 1) Das müssen Sie aber bei Albert abschwächen; er hat, Satz 19, nur für den Fall zyklischer Algebren gezeigt daß jeder Primteiler des Index im Exponenten aufgeht; von der allgemeinen Brauerschen Reduktion kann ich wenigstens nichts finden.2)

Dann hätte ich gern noch ein paar genauere “historische” Angaben. Sie benutzen nämlich bei der Reduktion II neben Brauer ganz wesentlich meinen prinzipiellen Schluß des Abbaus von oben: Ist K//\ auflösbar, D überall zerfallend, so auch /\ Zerfällungskörper - d.h. meine Folgerung 5. Es wäre also gut, Seite 2 vor Reduktion 2. zuzufügen: “...verwenden, unter Benutzung der auch Reduktion III zugrunde liegenden Schlußweise, die zeitlich vor der Reduktion II liegt.” Oder anders stilisiert, aber doch dem Sinn nach! Damit wäre dann auch klargestellt, was Sie aber vielleicht auch besonders sagen könnten, daß Sie den Satz zum Abschluß gebracht haben, nicht ich. Jetzt sieht es so aus, als hätte ich den Abschluß bewiesen, unter Benutzung Ihrer Abbau-Schlußweise aus II, was beides nicht stimmt!

Ebenso möchte ich auf S. 4, im 4.-letzten Absatz, mitgenannt sein, oder etwa das H. Hasse durch “wir” ersetzt haben. Daß nämlich die Fassung mit den Faktorensystemen die richtige Verallgemeinerung ist, habe ich Ihnen schon auf dem Hanstein-Spaziergang im Frühling gesagt, als Sie mir die Widerlegung der Norm-Vermutung im Abelschen Fall erzählten. Sie haben es damals wahrscheinlich noch nicht ganz aufgefaßt; und es sich später selbst wieder überlegt. Genau genommen habe ich es Ihnen schon in Nidden gesagt3), durch die Formulierung des “Hauptgeschlechtssatzes im Minimalen”.4)

Weiter meine ich, bei Satz 3 - den ich im Augenblick nicht verschärfen kann, und für den Sie oder Brauer viel eher eine Verschärfung finden werden - sollten Sie sich wieder als Verfasser angeben; und den Satz nicht als “Förderung”, sondern als Bestätigung einer bekannten Schurschen Vermutung bezeichnen. Schur hat immer nur vermutet, daß Einheitswurzeln ausreichen, ohne Gradbeschränkung zu verlangen. Beim Beweis ziehen Sie doch genau die Ihrer Reduktion I zugrundeliegenden Sätze heran. Ich habe natürlich auch an diese Schursche Frage gedacht, aber nicht bemerkt, daß sie so einfach zu beantworten ist.5)

Das wäre das “Historische”. Nun noch ein paar Kleinigkeiten: S. 5 ist die “reduzierte Diskriminante” als “reduzierte Norm der Differente” zu definieren (denn N(p) = p ; also N(pn-1) = N(d) = pn-1 bezieht sich auf reduzierte Norm); die nichtreduzierte Norm hat zwar dieselben Primzahlen wie die reduzierte Diskriminante, stimmt aber nicht mit dieser noch mit der unreduzierten Diskriminante überein! 6)

Wollen Sie nicht S. 1 bei “normale Algebra” (im letzten Absatz, dritte Zeile) zur Erläuterung für deutsche Leser zufügen: wo also _O_ Zentrum.7)

Dann Schreibfehler: S. 4, erste Zeile steht II statt III; (III richtig). S. 5 müssen die Anmerkungen 5), 6) heißen (statt 4), 5)).

Mit der Verbeugung vor Hensel bin ich selbstverständlich einverstanden. Meine Methoden sind Arbeits- und Auffassungsmethoden, und daher anonym überall eingedrungen.8)

Herzliche Grüße, Ihre Emmy Noether.
         

Anmerkungen zum Dokument vom 12.11.1931

1Dies ist die Stellungnahme von Noether zu dem Hasseschen Text-Entwurf für die gemeinsame Arbeit von Brauer-Hasse-Noether BraHasNoe:1932 . (Vgl.Anmerkung 6 zur vorangegangenen Postkarte * vom 10. 11. 1931.) Wie Noether vorgeschlagen hat, findet sich in der publizierten Arbeit eine Fußnote mit dem Text: “Die Abfassung dieser Note übernahm H.Hasse.

2Hasse hatte im Manuskript darauf hingewiesen, dass ein Sylow-Argument, so wie es in der Arbeit benutzt wurde, schon früher von R. Brauer benutzt worden war (vgl. Postkarte * vom 10. 11. 1931). Weiter hatte Hasse formuliert:

Neuerdings hat Albert für diesen Gedanken sowie überhaupt für eine Reihe von allgemeinen Sätzen der R.Brauerschen und E.Noetherschen Theorie einfache, von der Darstellungstheorie unabhängige Beweise entwickelt.

Und er zitiert zwei Arbeiten von Albert in den Transactions of the AMS Band 33, Alb:1931a und Alb:1931 . Der von Noether angesprochene “Satz 19” von Albert findet sich in der zweiten dieser Arbeiten. Weil Noether dort nichts von den Brauerschen Sylow-Argumenten finden kann, so meint sie, dass der Hinweis auf Albert in dieser Fußnote abgeschwächt werden müsse. In ihrem nächsten Brief wiederholt sie ihren Standpunkt, jedoch im übernächsten Brief *(vom 22. 11. 1931) zieht sie ihren Einspruch zurück, nachdem sie von Hasse über die Leistung von Albert genauer informiert worden war.

3Hasse hatte in den Teil 2 seines Klassenkörperberichtes Has:1930a den auf Hilbert-Furtwängler zurückgehenden Satz aufgenommenen, dass das Lokal-Global-Prinzip für Normen bei zyklischen Zahlkörper-Erweiterungen von Primzahlgrad gilt. Gleichzeitig hatte er dort die die Vermutung aufgestellt, dass dieses Lokal-Global-Prinzip für beliebige abelsche Erweiterungen von Zahlkörpern richtig ist. Später, im Frühjahr 1931 hat Hasse dann gezeigt, dass seine Vermutung zwar für beliebige zyklische, aber nicht allgemein für abelsche Erweiterungen gilt Has:1931c . Offenbar hatte er das Emmy Noether im Frühjahr bei einem Spaziergang zum Hanstein erzählt, und Noether hatte ihn dann darauf aufmerksam gemacht, dass das Äquivalent der Normfaktorgruppe (im Fall von zyklischen Erweiterungen) die Gruppe der Faktorensysteme (im Fall beliebiger galoisscher Erweiterungen) ist. - Hanstein ist eine Burg südlich von Göttingen. - Nidden ist ein Ostseebad auf der Kurischen Nehrung in Ostpreußen. Im Anschluss an die DMV-Tagung in Königsberg im September 1930 hatten Hasse und Emmy Noether einen Ausflug nach Nidden unternommen.

4Wenn Noether vom “Hauptgeschlechtssatz” spricht, dann benutzt sie die klassische Terminologie der quadratischen Formen bezw. der Divisoren, bei denen es “Geschlechter” und ein “Hauptgeschlecht” gibt. Der klassische Hauptgeschlechtssatz kann gedeutet werden als das Verschwinden der 1-Kohomologie gewisser Divisoren- oder Einheitengruppen. Wenn immer Noether eine ähnliche Situation von Galoismoduln findet, bei denen die 1-Kohomologie verschwindet, dann tendiert sie dazu, dies als “Hauptgeschlechtssatz” zu bezeichnen. - Wenn Noether von lokalen Objekten spricht, also von lokalen Erweiterungen etc., dann sagt sie, dies spiele sich “im Kleinen” ab; bei globalen Untersuchungen befindet sie sich “im Großen”. Im vorliegenden Falle spricht sie vom “Hauptgeschlechtssatz im Minimalen”; das bedeutet das Verschwinden der 1-Kohomologie beim Restklassenkörper, der hier ein beliebiger Körper sein kann. Also: Der “Hauptgeschlechtssatz im Minimalen” ist der Satz, der heute allgemein als “Hilbertscher Satz 90” zitiert wird, bezugnehmend auf den Hilbertschen Zahlbericht Hil:1897 . Der Satz besagt, dass die 1-Kohomologie der multiplikativen Gruppe eines Galoisschen Körpers verschwindet. Hilbert hatte dies jedoch nur für zyklische Gruppen formuliert und bewiesen. Den allgemeinen Satz für beliebige Galoisgruppen verdankt man Speiser Spe:1919 . - Übrigens hat Hasse in der Tat das Wort “wir” an der von Noether gewünschten Stelle eingefügt (nämlich im letzten Absatz vor dem Abschnitt “Folgerungen”).

5Es geht um den Satz, dass jede absolut irreduzible Darstellung einer endlichen Gruppe der Ordnung n schon im Körper der nh-ten Einheitswurzeln realisierbar ist, für hinreichend großes h. Hasse zeigt hier, dass dies eine einfache Folge des Lokal-Global-Prinzips ist. I. Schur hatte vermutet, dass dies schon für h = 1 gilt; deshalb spricht Hasse nicht von einer “Bestätigung”, sondern von einer “Förderung” der Schurschen Vermutung. Noether meint, dass Schur niemals vermutet habe, dass man h = 1 nehmen kann. Im nächsten Brief nimmt sie das jedoch zurück, und deshalb wurde in das Manuskript eine Fußnote angefügt, wo die betreffende Arbeit Schu:1906 genau zitiert wird.

Übrigens hat Hasse später, im Jahre 1949, eine kurze Note in den Mathematischen Nachrichten publiziert Has:1950a , in welcher er auf einen “offensichtlichen” Fehler in seinem Beweis hinweist und diesen Fehler korrigiert. Zu jenem Zeitpunkt hatte jedoch, worauf Hasse hinweist, Richard Brauer bereits die volle Schursche Vermutung bewiesen, also h = 1, und sogar noch schärfer, dass bereits der Körper der e-ten Einheitswurzeln ausreicht, wenn e der Exponent der Gruppe ist. Dazu hatte Brauer den inzwischen berühmt gewordenen “Satz über induzierte Charaktere” endlicher Gruppen bewiesen.

6Im Nichtkommutativen gibt es eine “reduzierte” Norm und eine gewöhnliche, also unreduzierte Norm; die letztere ist eine Potenz der ersteren. Entsprechend für die Spur. Daraus ergeben sich auch bei der Differente bezw. Diskriminante Unterschiede, je nachdem ob die reduzierte oder unreduzierte Version von Norm und Spur benutzt wird. - Übrigens kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob die reduzierte Diskiminante oder die gewöhnliche Diskriminante genommen wird, denn beide haben dieselben Teiler. Deshalb hat Hasse in der publizierten Version an der betreffenden Stelle (Satz 2) das Wort “reduziert” jeweils in Klammern vor “Norm” und “Differente” gesetzt.

7Eine entsprechende Erläuterung der Terminologie “normal” hat Hasse in das Manuskript aufgenommen. - Wir ersehen aus der Noetherschen Bemerkung, dass die in Amerika übliche Terminologie “normal” im Jahre 1931 in Deutschland noch nicht verbreitet war. Später jedoch, nachdem sich Deuring in seinem Ergebnisband Deu:1935b dieser Terminologie angeschlossen hatte, wurde sie bald überall benutzt. (Inzwischen hat sich übrigens die Terminologie noch einmal geändert; man sagt jetzt “zentral” statt “normal”.) Auch die Terminologie “Algebren” finden wir in der vorliegenden Arbeit bei Hasse zum ersten Mal; noch in der kurz zuvor in den Mathematischen Annalen erschienenen Arbeit von Hasse über “p-adische Schiefkörper und hyperkomplexe Zahlsysteme” Has:1931 werden “hyperkomplexe Systeme” statt “Algebren” behandelt. Noether selbst hat die Terminologie übrigens nicht gewechselt; sie spricht in ihren Arbeiten und Briefen auch später fast immer nur von “hyperkomplexen Systemen”.

8Dieser Satz hat inzwischen in der Noether-Literatur eine gewisse Berühmtheit erlangt. Er zeigt, dass Noether sehr überzeugt war von der Kraft und dem Erfolg “ihrer Methoden”, welche sie treffend charakterisiert. Aber weshalb schrieb sie diesen Satz gerade hier, bei der Diskussion des Widmungstextes für Hensel ? Die Antwort liegt nahe: Einerseits möchte Noether gegenüber Hasse hervorheben, dass schliesslich auch “ihre Methoden” für den Erfolg verantwortlich sind, nicht allein die Henselschen p-adischen Methoden, die Hasse erwähnt. Andererseits legt sie keinen besonderen Wert darauf, dass dies öffentlich anerkannt wird. Hasse hat zwar den Widmungstext für Hensel in der vorliegenden Arbeit nicht abgeändert; der Text erscheint im 3. Absatz der Arbeit. Hasse hat jedoch die öffentliche Anerkennung der Noetherschen Methoden im folgenden Jahr nachgeholt, nämlich auf seinem Vortrag im September 1932 auf dem internationalen Mathematiker-Kongress in Zürich Has:1932d . Dort berichtet er über den Hauptsatz der Algebren und sagt dazu: “Der Beweis dazu ergibt sich durch Kombination der von Hensel geschaffenen arithmetischen Methoden, die ich im Anschluß an Speiser in diese Theorie hineingetragen habe, mit gewissen algebraischen Methoden, die, auf früheren Untersuchungen von Speiser und I.Schur fußend, kürzlich von R.Brauer und E.Noether entwickelt wurden.” Schon vorher, zu Noethers 50. Geburtstag im März 1932, hatte Hasse ihr eine Arbeit Has:1933 gewidmet und darin im Vorwort die Ideen und Methoden Emmy Noethers hervorgehoben. Vgl. den Brief * vom 26. 3. 1932.