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10.11.1931, Noether an Hasse, Postkarte



Inhalt:

Der Durchbruch: Jede einfache Algebra über einem Zahlkörper ist zyklisch. N.s Reaktion: “Das ist schön!”


10. 11. 31

Lieber Herr Hasse!

Das ist schön! Und mir ganz unerwartet1), so trivial der letzte Schluß ist; der ja auch bei Brauer steht (Jede Primzahl des Index geht im Exponenten auf).2) Ich dachte man müßte arithmetische Schlüsse der Art heranziehen, daß die Zerlegungsgruppen eines Primideals auflösbar. Folgerung 5, die ich nicht für allzu wichtig hielt, gibt also jetzt den allgemeinen Satz! 3)

Meine Trivialisierung habe ich mir übrigens bei der Lektüre der neuen Brauer-Arbeiten für Crelle überlegt, wovon er mir Durchschlag schickte (heute vor acht Tagen).4)

Noch etwas! Die Brauersche Reduktion auf Index von Primzahlpotenzgrad ist garnicht nötig: Sei N/K Zerfällungskörper, p eine im Index aufgehende Primzahl; L Invariantenkörper der zugehörigen Sylowgruppe; und (D) überall zerfallend. Dann ist (Reduktionssatz) auch L Zerfällungskörper; aber nicht mehr durch p teilbar. Widerspruch! 5)

Den Manuskript-Entwurf werde ich Ihnen sehr rasch wieder zugehen lassen; auch die Korrektur können wir rasch jeder unabhängig erledigen.6) Ihr amerikanisches Manuskript ist nicht eilig !7)

Beste Grüße, Ihre Emmy Noether.
        

Anmerkungen zum Dokument vom 10.11.1931

1Nunmehr war der Durchbruch gekommen. Hasse hatte an Noether geschrieben, dass er jetzt den vollen Beweis für die Zyklizität aller einfachen Algebren über Zahlkörpern führen könne. Er benutzte dabei einerseits das Induktions-Argument, das Noether ihm in ihrem vorangegangenen Brief * vom 8. 11., zwei Tage zuvor, mitgeteilt hatte, und andererseits ein Sylow-Argument, das ihm Richard Brauer vor einigen Tagen, mit Brief vom 29. 10. 1931, geschrieben hatte (im Zusammenhang mit der Frage ob Exponent und Index übereinstimmen). Die Zusammenfügung dieser beiden Schlussweisen ergab die Lösung des lange gesuchten Problems, zusammen mit dem Hasseschen Reduktionssatz, der alles auf den Beweis des Lokal-Global-Prinzips für Algebren reduzierte. Noch im vorangegangenen Brief hatte Noether gemeint, dass man zum Beweis die nicht-galoisschen Faktorensysteme brauchen würde und, wie sie schrieb, neue zahlentheoretische Sätze. All dies hat sich nunmehr als unnötig erwiesen. Dadurch erklärt sich, weshalb ihr diese Wendung “ganz unerwartet” kam.

2Der in Rede stehende Satz von Brauer findet sich in seiner Arbeit “Über Systeme hyperkomplexer Zahlen” Bra:1929 . Natürlich meint Noether nicht, dass der Satz von Brauer trivial ist, sondern ihr erscheint die Anwendung dieses Satzes in der vorliegenden Situaion trivial. Aus dieser Bemerkung Noethers scheint hervorzugehen, dass dieser Satz von Brauer in derjenigen Fassung des Hasseschen Beweises, die er jetzt an Noether geschickt hatte, benutzt wurde. (In der gedruckten Fassung wird er nicht mehr benutzt.)

3Hier bezieht sich Emmy Noether auf die Anlage zu ihrem vorangegangenen Brief, und auf die dort am Schluss formulierte “Folgerung 5”.

4Wie bereits in Fußnote 1 erwähnt, hatte Brauer am 29. 10. 1931 an Hasse geschrieben. Zusammen mit seinem Brief schickte er zwei Manuskripte zur Publikation im Crelleschen Journal, bei dem ja Hasse als Herausgeber fungierte. Aus der Bemerkung von Noether geht hervor, dass Brauer ihr Kopien seiner Manuskripte geschickt hatte - und dass sie diese sofort gelesen hat. Daran anschliessend hatte sie sich ihr Reduktionsverfahren auf den auflösbaren Fall überlegt - was sie “Trivialisierung” nennt, und dies dann Hasse geschickt. Hasse hat dann beide Ideen - Brauers und Noethers - zusammengefügt und damit den Beweis vervollständigt. - Brauers Arbeiten sind 1932 im Crelleschen Journal erschienen, eine in Band 166 Bra:1932a , die andere in Band 168 Bra:1932b . (Band 167 war der Hensel-Festband; der war offenbar schon voll besetzt, insbesondere da Hasse das gemeinsame Manuskript (mit Brauer und Noether) darin noch eilig unterbringen wollte.)

5Bei der “Brauerschen Reduktion auf Primzahlpotenzgrad” handelt es sich um den folgenden Satz: Eine zentrale Divisionsalgebra vom Index m ist Produkt von zentralen Divisionsalgebren von Primzahlpotenzindex piri, entsprechend der Zerlegung m =  prod ipiri. Dieser Satz findet sich in derselben Arbeit Bra:1929 , die wir schon in Anmerkung 2 zitiert haben. Aus der Noetherschen Bemerkung geht hervor, dass dieser Satz in der ursprünglichen Fassung des Hasseschen Manuskripts noch benutzt wurde. Hier zeigt Noether, dass er überflüssig ist. Das wird bestätigt durch einen Brief Hasses an Brauer vom 11.11.1931, in welchem Hasse mitteilt, dass Noether “Ihren [Brauers] Satz von der direkten Aufspaltung als überflüssig herausschmiß.” In der gedruckten Fassung findet sich die Noethersche Schlussweise.

6Hieraus entnehmen wir, dass Hasse schon einen Manuskript-Entwurf mitgeschickt und eine gemeinsame Publikation (gemeinsam auch mit Brauer) vorgeschlagen hatte. Noether sollte den Entwurf durchsehen und ihn danach rasch wieder an Hasse zurücksenden. Die Eile erklärt sich dadurch, dass Hasse diese Arbeit gerne in den Jubiläumsband von Kurt Hensel aufnehmen wollte. Hensel war Hasses akademischer Lehrer gewesen und jetzt sein “väterlicher Freund”. Und Hasse hatte ja schon sein früheres Manuskript zur Publikation im Hensel-Festband vorgesehen (siehe den vorangegangenen Brief * vom 8.11.1931). Jenes andere Manuskript war nun obsolet geworden und musste durch das neue ausgetauscht werden. Da der Jubiläumsband schon Ende Dezember zum Geburtstag Hensels gedruckt vorliegen sollte, war höchste Eile geboten.

Dass die Sache sehr eilte, ersieht man auch aus dem folgenden Passus des Briefes von Hasse an Brauer, vom 11. 11. 1931. Hasse schickte einen Entwurf des Manuskripts der gemeinsamen Arbeit und schrieb dazu:

Ich bitte Sie, die beiliegenden Blätter einer liebevollen und wenn irgend möglich recht schnellen Durchsicht zu unterziehen. Denn wie Sie sehen, habe ich die Gelegenheit benutzt, um eine ehrfurchtsvolle Verbeugung zu Hensels 70.Geburtstag zu machen, und der ist bereits am 29.Dezember. Wir bringen ein Festheft bei Crelle heraus (fast 2 Bände stark) und da soll dies nach Möglichkeit noch hinein. Da tut dann Eile sehr not.

Das neue Manuskript mit dem Hauptsatz erschien dann im Hensel-Festband noch im gleichen Jahr BraHasNoe:1932 .

7Vgl. die Anmerkung 4 zum vorangegangenen Brief * vom 8. 11. 1931.