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27.10.1931, Noether an Hasse, Postkarte



Inhalt:

Glückwunsch zur Zyklizität (abelsch darstellbare Algebren sind zyklisch). Nicht-galoissche verschränkte Produkte. Weitere Korrekturen zu Noethers Hensel-Note.


27. 10. 31

Lieber Herr Hasse!

Meinen Glückwunsch zur Zyklizität! 1) Ich vermute, daß man für den allgemeinen Fall neben den Assoziativbedingungen auch noch das Analogon zum verschränkten Produkt bei nicht-Galoisschen Zerfällungskörper kommen muß; denn die Invariantenkörper L der zyklischen Untergruppen sind doch “teilweise” Zerfällungskörper.2) Das hat nur bis jetzt niemand durchführen wollen! 3) Dabei fällt mir ein, ob ich nicht eigentlich in Anmerkung 1) zitiert gehöre; denn Sie stützen sich doch in der amerikan[ischen] Arbeit auf meine bisher nur dort publizierten Sätze. Also weiter viel Erfolg! 4)

Darf ich Sie noch um folgende Zufügung zu Anmerkung 9) meiner Note5) bitten (da ich in 8) auch von abstrakten Körpern rede): Ist k von Charakteristik p , wo p in n aufgeht, so handelt es sich um irreduzible Kompositionsfaktoren in einer Kompositionsreihe nach Galoismoduln.

Beim Beweis von Satz 1. muß es genauer heißen: “Bei Festhaltung von op als Grundbereich” (oder Koeffizientenbereich). [Denn die Diskriminante hat den Wert eins inbezug auf die Stelle im rationalen Zahlkörper, also auch wenn op nicht maximale Ordnung, also [G]op nicht maximal]. Ich hätte eigentlich mit op maximal anfangen sollen! Man verlangt stillschweigend, (d.h. es ist beweisbar) im Hyperkomplexen maximal nach dem rationalen Grundkörper; im Kommutativen, wo man “ganz abgeschlossen” sagt, sieht man es gleich. - Daß Kp/kp direkte Summe von Körpern, folgt doch daraus, daß die Idempotente u[nd] Komponenten bei der direkten Summenzerlegung von O/pi nach den p-adischen Idempotenten und Komponenten konvergieren; daran hatte ich (vor Satz 5) gedacht!

Herzl. Grüße, Ihre E.N.
      

Anmerkungen zum Dokument vom 27.10.1931

1Hiernach hatte Hasse an Noether ein Manuskript über “Zyklizität” geschickt. Das Manuskript ist uns nicht bekannt, und auch aus der Noetherschen Antwort geht nicht unmittelbar hervor, worum es sich handelt. Wir wissen jedoch aus anderen Quellen, dass sich darin ein Beweis dafür fand, dass jede abelsch darstellbare einfache Algebra A zyklisch ist - alles über einem algebraischen Zahlkörper als Zentrum.

An dieser Stelle erscheint es notwendig, die von Hasse verwendete Terminologie zu klären. A heißt “zyklisch”, wenn A isomorph ist zu einem zyklischen verschränkten Produkt. A heißt “zyklisch darstellbar”, wenn A ähnlich ist zu einem zyklischen verschränkten Produkt, wobei Ähnlichkeit im Sinne der Brauerschen Gruppe zu verstehen ist. Zyklische Darstellbarkeit bedeutet, dass A einen zyklischen Zerfällungskörper besitzt. Entsprechend für “abelsch” oder “auflösbar” statt “zyklisch”. Über einem algebraischen Zahlkörper als Grundkörper fallen die Begriffe “zyklisch” und “zyklisch darstellbar” zusammen, aber das folgt erst aus dem Lokal-Global-Prinzip für Algebren. Solange dies noch nicht bewiesen ist, hält Hasse die beiden Begriffe auseinander.

Das zur Diskussion stehende Manuskript war ein Schritt zu dem angestrebten endgültigen Ziel, nämlich dem Nachweis, dass jede einfache Algebra über einem Zahlkörper zyklisch ist. Das Manuskript war offenbar schon für die Publikation gedacht, denn Noether möchte darin zitiert werden, wie wir aus dieser Postkarte erfahren.

2Verschränkte Produkte bei nicht-galoisschen Zerfällungskörpern gehen auf Brauer Bra:1926 zurück. Emmy Noether hatte diese in ihrer Vorlesung 1929/30 Noe:1983 behandelt. Hasse hatte eine Kopie der (von Deuring angefertigten) Vorlesungsausarbeitung erhalten, war also mit der Theorie der nicht-Galoisschen Faktorensysteme vertraut, sodass Noether hier keine näheren Erläuterungen abgeben musste.

3 Hasse ist tatsächlich der Noetherschen Anregung gefolgt und hat versucht, die Theorie der nicht-Galoisschen Faktorensysteme zu benutzen, um zu einem Beweis des Lokal-Global-Prinzips und damit der Zyklizität für jede einfache Algebra über einem Zahlkörper zu gelangen. Dies geht aus einem Brief von Hasse an Brauer vom 7. 11. 1931 hervor. Zu jenem Zeitpunkt hatte Hasse bereits von Brauer die Sylow-Argumente übernommen und konnte sich daher auf den Fall beschränken, dass die in Rede stehende Algebra einen galoisschen Zerfällungskörper von Primzahlpotenzgrad besitzt. Er schrieb nun an Brauer, dass er hoffe, dass die Sache sich

damit zum glücklichen Ende führen läßt, und zwar wohl wesentlich mit den von Ihnen entwickelten Sätzen über Faktorensysteme nicht-galoisscher Zerfällungskörper.

Wir ersehen daraus, dass Hasse die Noethersche Anregung aufgenommen hatte. Der Brief hat 8 Seiten, und Hasse schildert darin ausführlich, was er bislang herausbekommen hatte und wie er sich den Rest des Beweis vorstellt, ohne allerdings zu einem Abschluss zu kommen.

Zwar erwies sich schon zwei Tage später, dass dieser Aufwand garnicht notwendig war, sondern dass es nach Noether eine einfache und fast triviale Schlussweise gibt (vgl. dazu den nächsten Brief Noethers vom 8. 11. 1931 und die darauffolgende Postkarte vom 10. 11. 1931, sowie die folgenden Briefe und unsere Kommentare dazu). Hasse erläutert das in einer Postkarte vom 9. 11. 1931 an Brauer, die er seinem oben erwähnten Brief eilig nachschickte:

Man muß nur den Abbau nicht, wie ich ungeschickt versuchte, beim Körper unten, bei der Gruppe oben beginnen, sondern umgekehrt. Ich habe mich furchtbar gequält, und doch nicht den einfachen Gedanken von Emmy gehabt.

In einem späteren Brief an Richard Brauer vom 16. 11. 1931 spricht Hasse noch einmal von seinem ursprünglichen Beweis, und dass er sich dazu in einer “geradezu labyrinthischen Weise gequält habe und fügt gleichzeitig hinzu, dass er “übrigens bei Eintreffen der E.Noetherschen Karte im Wesentlichen durchgekommen war!

Offenbar hat Hasse auch in einem Brief an Albert von seinem ursprünglichen Beweis gesprochen und davon, dass er dazu mit den Brauerschen Faktorensystemen bei nicht-galoisschen Zerfällungskörpern gearbeitet hatte. Das lag insofern nahe, als der von Hasse damals verwendete Ansatz, nämlich „bei der Gruppe oben zu beginnen“, genau derselbe war wie bei Dickson Dic:1928 , und Hasse also annehmen konnte, dass Albert damit vertraut war. Im Hinblick auf seine labyrinthischen” Probleme, die er dabei zu überwinden hatte, hatte er wohl an Albert geschrieben, dass er die Brauerschen Faktorensysteme als “obscure” empfinde. Wir haben zwar keinen Beleg dafür, denn die Briefe von Hasse an Albert sind nicht erhalten. Immerhin würde diese Interpretation, die ja naheliegt, eine Briefstelle von Albert an Hasse im Brief vom 26. 11. 1931 erklären, in der es heißt:

As to Brauer’s “obscure” conception of factorsystems, I do not believe them so obscure. In my paper “The structure of matrices with any normal division algebra of multiplications”, Annals of Math. vol.32(1931) pp.131-148 I obtained a sort of a generalization of some of I.Schur’s work which led both for Brauer (very early) and myself later and independently to the theory of factor systems. I still believe this important.

Wir haben diesen Brief von Albert bereits in unserer Anmerkung 6 zu Noethers Brief vom 2. 6. 1931 zitiert.

Bemerkung: In FeSch:2005 wird die in Rede stehende Briefstelle aus dem Brief von Albert als gem” bezeichnet mit der Begründung, dass es sich hier um eine Meinungsverschiedenheit (“disagreement”) zwischen Albert und Hasse handele. Unter Berücksichtigung der Korrespondenz Hasse-Noether und der oben zitierten Briefe Hasse-Brauer können wir uns dieser Meinung nicht anschließen. Offensichtlich handelt es sich um eine gegenseitige Information über die jeweiligen Erfahrungen bei der Arbeit mit einem mathematischen Konzept, und dies kann nicht ohne weiteres als “Meinungsverschiedenheit” angesehen werden.

4Da wir das Hassesche Manuskript nicht kennen, so wissen wir auch nicht genau, was in der Anmerkung 1) stand. Anscheinend enthielt die Anmerkung einen Verweis auf die, von Noether angesprochene, amerikanische Arbeit Has:1932 von Hasse. Dort findet sich, mit Noethers Genehmigung, die erste Publikation der Noetherschen Theorie der verschränkten Produkte.

5“Meine Note” bedeutet die “Hensel-Note” Noe:1931 , von der in den vorangegangenen Briefen die Rede war. Sämtliche von Noether hier gewünschten Änderungen sind in der publizierten Version berücksichtigt worden.