26.1 Das Hassesche Normsymbol

Artins „herzlichster Glückwunsch“ bezieht sich auf Hasses Arbeit „Neue Begründung und Verallgemeinerung der Theorie des Normenrestsymbols“. Sie erschien 1930 im Crelleschen Journal [Has30e], war jedoch schon am 7.März 1929 dem Crelleschen Journal eingereicht worden. Es werden wohl die Korrekturfahnen zu dieser Arbeit gewesen sein, die Hasse an Artin geschickt hatte – wie es damals üblich war.

Eine zweite Arbeit von Hasse: „Die Normenresttheorie als Klassenkörpertheorie im Kleinen“ [Has30c] erschien in demselben Band des Crelleschen Journals, mit einem Eingangsdatum, das nur wenige Tage später liegt: 16.März 1929. Es handelt sich um eine Folgearbeit zu der vorgenannten. Wahrscheinlich hatte Hasse auch die Korrekturfahnen dieser zweiten Arbeit mitgeschickt. Wir werden diese in dem folgenden Abschnitt 26.2 diskutieren.

Das Problem, das Hasse in [Has30e] löst, war von Artin schon vor zwei Jahren aufgeworfen worden, nämlich im Brief Nr.10 vom 21.Juli 1927. In Punkt 6.) jenes Briefes hatte Artin, wie er sagte, eine „ganz dumme“ Frage gestellt, nämlich ob es möglich sei, eine Art Normsymbol auch dann zu definieren, wenn der Grundkörper k die Einheitswurzeln nicht enthält. Diese Frage wird von Hasse nunmehr im positiven Sinne beantwortet. Artin hatte sich damals auf die „s-Formulierung“ seines Reziprozitätsgesetzes bezogen, d.h. auf die Formulierung mit Hilfe der Galoisgruppe einer abelschen Erweiterung; dabei braucht man keinerlei Voraussetzung über Einheitswurzeln. Und er hatte gefragt: gibt es eine entsprechende Formulierung auch für das Normsymbol?

In der Arbeit [Has30e] zeigt nun Hasse, dass es geht, d.h. man kann in kanonischer Weise ein Normsysymbol (a,pK) für eine beliebige abelsche Erweiterung K|k und beliebiges a0 aus k definieren, multiplikativ in a, und derart, dass

(     )
 a,-K-  = 1   <====>   a ist Norm aus Kp|kp.
   p
(40)

Dabei ist p eine beliebige Primstelle von k. Die Wertgruppe des neuen Normsymbols (a,K
 p) ist jetzt keine Einheitswurzelgruppe, sondern die Galoisgruppe von Kp|kp, genauer: die Zerlegungsgruppe von p in der Galoisgruppe von K|k.

Dabei gilt die Produktformel

 prod  (a, K )
     ----- =  1
 p    p
(41)

wobei die 1 auf der rechten Seite das Einselement der Galoisgruppe von K|k bedeutet. Nimmt man für K den Körper k(m V~ b--), wobei jetzt die m-ten Einheitswurzeln in k enthalten sein sollen, so erhält man im wesentlichen das von Hasse in seiner früheren Arbeit [Has27e] diskutierte Hilbertsche Normsymbol (a,b
 p) zurück.54 Denn vermöge der Kummerschen Theorie spiegelt sich die Galoisgruppe in einer Einheitswurzelgruppe wider.

Die Definition des neuen Hasseschen Normsymbols geschieht nach wesentlich demselben Muster wie die Definition des Hilbertschen Normsymbols, die wir in 10.3 skizziert haben; zwar gelingt es Hasse, einige formale Vereinfachungen anzubringen, aber die Grundidee ist dieselbe. Wenn p nicht im Führer von K|k enthalten ist und in a zum Exponenten a aufgeht, so ist

(a,  K )   (K  )-a
  -----  =   --
    p        p
(42)

wobei das Symbol (Kp) auf der rechten Seite den Frobenius-Automorphismus von p bedeutet. (Wir benutzen hier die von Hasse eingeführte Schreibweise für den Frobenius-Automorphismus; Artin schreibt dafür stets sp.) Andernfalls wähle man a' (- k welches p-adisch nahe bei a liegt aber q-adisch nahe bei 1 für alle anderen Teiler q des Führers von K|k. Schreibe (a') = paa'; dann ist der Divisor a' teilerfremd zum Führer und somit ist das Frobenius-Symbol (K
a'-) definiert; man setze nun

(     )   (   )
 a,-K-  =   K-  .
   p        a'
(43)

Zum Beweis dafür, dass dadurch (a,K
  p) wohldefiniert ist, wird das Artinsche Reziprozitätsgesetz benötigt; ebenso zum Beweis dafür, das die obengenannte Normeigenschaft (40) gilt.

Mit der Konstruktion dieses Symbols folgt Hasse der Artinschen Idee der „s-Formulierung“. Es nimmt nicht wunder, dass Artin dies enthusiastisch kommentiert und meint, dies sei nun der „wahre“ Zusammenhang. Aus heutiger Sicht können wir dem jedoch nur bedingt zustimmen. Denn damals konnte Hasse das lokale Normsymbol zu einer Primstelle p noch nicht lokal im p-adischen erklären, sondern er musste bei der Definition das globale Artinsche Reziprozitätsgesetz verwenden.