Die Anwendbarkeit der Tschebotareffschen Durchkreuzungsmethode beruht darauf, dass man den zyklotomischen Hilfskörper K' für das jeweilige Problem geeignet wählen kann, und zwar dergestalt, dass der gewünschte Schluss von K' auf K möglich ist. Dies wiederum beruht, bei der Anwendung auf das Artinsche Reziprozitätsgesetz, auf einem zahlentheoretischen Hilfssatz über die Existenz von Primzahlen p mit gewissen Eigenschaften ihrer f-ten Potenzreste, bei vorgegebenem f (Hilfssatz 3 im Artinschen Brief Nr.9). Dieser Hilfssatz ist wohl als die entscheidende neue Idee von Artin anzusehen. Er ist nämlich nicht in der Arbeit von Tschebotareff zu finden, und auch nicht in der bereits erwähnten Arbeit von Schreier [Sch26b]32 . Zwar wird dort auch die Durchkreuzungsmethode angewandt, aber die Bedingungen für die Wahl geeigneter zyklotomischer Körper sind dort andere (dort wird ja auch ein anderes Problem behandelt). Dadurch, dass Artin seinen Hilfssatz isoliert und gesondert ausspricht, erscheint seine Arbeit besonders klar und durchsichtig; auch hier wieder zeigt Artin sein Talent zur vereinfachenden Darstellung. In der publizierten Version stellt Artin den Hilfssatz seiner Arbeit voran.
In jeder bisher bekannten Herleitung des Artinschen Reziprozitätsgesetzes erscheint dieser Hilfssatz in der einen oder anderen Variante. Das trifft zu sowohl auf die Darstellung des Beweises in Hasses Klassenkörperbericht II [Has30a], als auch in der späteren Hasseschen Annalen-Arbeit [Has33a], die er Emmy Noether zum 50.Geburtstag am 23.März 1932 widmete, und in der er u.a. die Herleitung des Reziprozitätsgesetzes mit nichtkommutativen Hilfsmitteln gab. Hasse vergleicht dort den Hilfssatz in der von ihm gegebenen Version mit demjenigen aus Artins Arbeit und stellt fest, dass die Situation in seinem (Hasses) Hilfssatz etwas einfacher erscheint als bei Artin. Wobei er allerdings hinzufügt, dass auch Artin inzwischen mit dieser vereinfachten Version seines Hilfssatzes auskommt. (Vgl. dazu Artins Brief Nr.19 vom 11.4.1928.) In jedem Falle: sowohl der von Hasse als auch der von Artin gegebene Beweis beruhten auf gewissen Dichtigkeitssätzen der algebraischen Zahlentheorie, die damals nur unter Benutzung von analytischen Hilfsmitteln bewiesen werden konnten (Dirichlets L-Reihen).
Dies gab den Anlass, nach einem elementaren Beweis des betr. Hilfssatzes zu suchen, der keine besonderen Hilfsmittel aus der algebraischen oder analytischen Zahlentheorie benutzt. Es gibt eine Reihe von Arbeiten, in denen sich ein solcher elementarer Beweis findet. Da diese Arbeiten zeitlich dicht aufeinander folgen und die Autoren während dieser Zeit engen wissenschaftlichen Kontakt miteinander hatten, ist es nicht möglich und wohl auch nicht angebracht, in dieser Sache Prioritätsfragen zu diskutieren. Zunächst hat Hasse einen solchen elementaren Beweis 1932 in seinen Marburger Vorlesungen [Has33c] gegeben. Sodann erschien ein solcher Beweis in der Thèse 1933 von Chevalley [Che33b]. Dieser Beweis wurde stark vereinfacht von Iyanaga [Iya33]. Schließlich gab van der Waerden, angeregt durch Hasse, einen besonders einfachen Beweis in der wohl größten Allgemeinheit, publiziert 1934 in Crelles Journal [vdW34].33