42 09.03.1932, Brief von Artin an Hasse

9. März 1932

Lieber Herr Hasse!

Vielen Dank für den Sonderabdruck und Ihren Brief. Ich habe inzwischen auch über die Dinge nachgedacht, formuliere sie aber noch anders. Ich möchte Ihnen darüber berichten bemerke aber dass Sie die Formeln noch in Ihre Schreibweise umschreiben müssen, da ich die Reihenfolge verkehrt nehme, mich aber daran gewöhnt habe.

1.) K Körper, G Gruppe, cs,t Faktorsystem zu us mit Relationen

       s
usa = a us ;  usut = cs,tust .
Assoziativitätsrelation
           s
cs,tcst,r = ct,rcs,tr .
Übergang von us zu vs = dsus führt auf das Faktorsystem
         s
c's,t = dsdtcs,t .
      dst
Ich schreibe kurz für das Faktorsystem
   s
dsdt-=  F(ds) .
 dst
Die Elemente können Zahlen oder Ideale sein.

2.) Setzen Sie  prod tcs,t = as ;  prod scs,t = bt ,  so ergibt die Assoziativitätsrelation, wenn man die Produkte über s oder über t oder über r durch die ganze Gruppe bildet, die drei folgenden Relationen (N = Norm K/k):

btbr = N(ct,r)btr oder N(ct,r) = btbr-
btr (1)
asbr = brsa s oder brs-1 = 1, also ist b r ambig. (2)
cs,tna st = atsa s oder cs,tn =     s
asa-t
 ast (3)

Die dritte Relation ist die wichtigste. Sie zeigt wohl am schnellsten und leichtesten sowohl für Zahlen wie für Ideale den Satz, dass die n-te Potenz jedes Faktorensystems ~ (1) ist.

3.)  F(ds) = 1 <====> ds = a1-s wo a =  sum sGsds0 .
Sowohl für Zahlen wie für Ideale.156

4.) Unter dem p-Beitrag eines idealen F[aktor]s[ystems] verstehe ich den Beitrag, den die Teiler von p zu cs,t liefern. Ein Faktorsystem das nur aus p-Teilern besteht nenne ich ein primäres. Dann ist jedes Faktorsystem eindeutig Produkt von zu verschiedenen p gehörigen primären.157

5.) Ich bestimme die Gruppe aller p-primären Faktorensysteme modulo den ~ (1):
Wegen (3) ist cs,tn =     s
asa-t
 ast für jedes Faktorsystem cs,t. Ist darin as beliebiges Ideal aber so, dass eine n-te Idealpotenz herauskommt, so ist das so bestimmte cs,t ein ideales Faktorsystem. Man setze:

       sum   r
a =  P r m s.r,   mr   ganze Zahlen.
 s                 s
r durchlaufe ein Vertretersystem von G mod Zp, also
      sum 
G =     rZp        (ich potenziere (Ps)t = Pts)
das genügt. Ich verabrede noch, dass msr von r nur gemäss der Restkl[asse] abhängen soll. Ist also z beliebiges Element von Zp = Zerlegungsgruppe, so soll gelten
mrzs  =_  mrs   (mod n)
(4)

Damit eine n-te Potenz herauskommt muss gelten:

 sum          sum           sum 
   mrsr +    mrtsr -    mrstr  =_  0   (mod  n)

Dabei sind die r nur mod Zp zu verstehen. Ersetzt man im mittleren Glied r durch s-1r, so erhält man:

  r    s-1r    r
m s + m t   - mst  =_  0   (mod n)
(5)

und man hat die Kongruenzen (4), (5) aufzulösen.

Man setze in (5) r = 1 und erhält158 , wenn man kurz ms statt ms1 schreibt:

mts-1  =_ mst - ms    (mod n)  also
mts  =_ m s-1t - ms-1    (mod n). (6)
Setzt man (6) in (5) ein, so ist (5) identisch befriedigt. Man braucht also nur noch (4). Setzt man (6) in (4) ein, und berücksichtigt, dass s-1t und s-1 beliebige Paare sind, so folgt:
mzs - mzt  =_ ms - mt (mod n) (7)
für jedes z  (- Zp . Wenn
hs = ms - m1 (8)
gesetzt wird, so folgt
hzs - hzt  =_ hs - ht . (7' )
Setzt man t = 1, so folgt
hzs  =_  hz + hs (mod  n)  z aus Zp ,s beliebig.
(9)

Aus (9) folgt (7') wieder identisch. Aus (8) folgt

h1  =_  0 (mod  n)
(10)

Jetzt ist im Ganzen:

mst  =_  hs-1t- hs-1  (mod  n) ,
(11)

wobei (4) und 5 gelten wenn 9 gilt.

(9) kann, wenn die Werte hz bekannt sind, als Definition der Werte für die Restklasse Zs gelten wenn hs bekannt ist. Dann braucht also (9) nur noch für den Spezialfall s  (- Zp zu gelten. Also muss hz eine isomorphe Abbildung von Z auf159 die additive Gruppe der Restklassen mod n bedeuten. Das ist alles was bleibt.

Setzen wir jetzt (11) ein in as so kommt, wenn wir n-te Potenzen zu einer n-ten Idealpotenz bsn vereinigen: (Wir rechnen ja modn.)

          sum              sum 
             h -1 .r -     h -1 .r
as = bns P     r  s          r
Wobei r im Index ein ganz bestimmtes Vertretersystem durchläuft, sonst aber nur mod Z zu gehen braucht. Wir addieren im Exponenten die Summe
 sum            sum    -------
   hr-1sr =     h(s-1r)-1 r ,
wo t der ausgezeichnete Vertreter der Klasse von t ist:
                 sum           sum            -------
as = bnsP(s  - 1)   hr-1r +    (hr-1s- h (s-1r)-1) r,
nun ist s-1r = (s-1r) . z-1 mit einem bestimmten z aus Z, also ist

(12)

as = bsnc1-s .P sum hz . r
z  = r-1s(s-1r)

Geht man die z, die auftreten können durch, so kommt nach Reidemeister (es sind seine Erzeugenden) sicher Erzeugende von Z darunter vor. Ist also hz nicht die identische Darstellung in den Restklassen, so ist der Exponent nicht immer  =_ 0 (mod n). Ein as der Form bsnc1-s mit beliebigem bs und c liefert aber, wie Sie sofort sehen, lauter hz  =_ 0 (mod n).

Also ist as modulo bsnc1-s genau durch die Darstellung hz von Z in den Restklassen mod n gegeben, und dem Produkt von zwei as-Vektoren ist die Summe der hz zugeordnet.

Ein as der Form bsnc1-s liefert nun gemäss (3) ein cs,t =    s
bsbt
bs,t ~ 1. Also ist die Gruppe der p-primären cs,t mod den ~ 1 isomorph mit der Gruppe aller Darstellungen von Zp durch Restklassen modulo n. Diese Gruppe aber ist isomorph mit der Faktorkommutatorgruppe von Zp. Also:

Die gesuchte Gruppe der p-primären cs,t ist isomorph mit der Faktorkommutatorgruppe von Zp.

Ist insbesondere p kein Diskriminantenteiler, so ist die Gruppe cyklisch von der Ordnung f. Dann ist also f die kleinste Zahl so dass die f-te Potenz jedes p-primären Faktorsystems ~ 1 ist.

Nun ist es wohl klar wie das Zerlegungsgesetz lautet:

Es sei f ein passender Modul. p zerfällt dann und nur dann in Primideale f-ten Grades, wenn f die Ordnung der p-primären Faktorensysteme modulo der Gruppe

 =_  F (as) (mod  f)
ist. p zerfällt vollständig, wenn jedes p-primäre Faktorsystem  =_ F(as) (mod f) ist.

Ich habe noch keine Zeit gehabt über den Beweis nachzudenken der nicht schwer sein kann. Ich habe nur den abelschen Spezialfall Gruppe (2,2) und die symmetrische Gruppe der Ordnung 6 geprüft also den Fall des kubischen Körpers. Es ist alles in Ordnung und stimmt in diesen Fällen. Im abelschen Fall lässt sich alles im Grundkörper normieren und führt auf die alte K[lassen]körpert[heorie.]

Im nicht abelschen Fall kommt einfach die alte Methode heraus die Klassenkörpertheorie anzuwenden auf Unterkörper in bezug auf die der ganze Körper cyklisch ist. So muss auch der Beweis mühelos herauskommen. Es ergibt sich also nur das eine Neue am Zerlegungsgesetz, dass es invariant formuliert und die verschiedenen Gruppen in den verschiedenen Körpern in einheitlichen und übersichtlichen Zusammenhang gebracht sind.

Dagegen kann natürlich keine Rede von einer Isomorphie sein. Im symm[etrischen] Fall 6 kommen für die Faktorensysteme modulo F(as) (mod f) 6 Klassen heraus (natürlich cyklisch):

1,K, K2, K3, K4,K5.
Dabei sind 1 die vollst[ändig] zerfallenen, K3 die mit f = 2 und K2 und K4 die mit f = 3. Interessanterweise bleiben K und K5 frei von primären cs,t, wie aus dem Zerl[egungs]ges[etz] folgt, da es keine unzerlegt bleibenden p gibt. Wohl aber gibt es in K und K5 Faktorensysteme. Etwa das Produkt eines primären der Ordnung 2 mit einem der Ordnung 3. In diesem Fall ist wie gesagt alles bewiesen.

Bei einer endgültigen Darstellung werden natürlich die Rechnungen dann zu vermeiden sein, wenn auf die abstrakte Bedeutung des verschränkten Produkts mit Idealen eingegangen wird. Die Bedeutung ist diese:

Sei N die Gruppe aller Ideale, S die Gruppe aller aus. Dann ist S gekennzeichnet als Erweiterung von N die

  1. N als Normalteiler enhält,
  2. S/N  -~ G,
  3. Die Nebengruppen liefern in N die Isomorphismen von G.

Die Komposition der Faktorensysteme lässt sich zwar invariant in naheliegender Weise deuten, aber nicht schön.

Selbst werden Sie sich wohl überlegt haben, wie die Faktorensysteme abzuändern sind wenn man Erzeugende und Relationen einführt. Das übliche Faktorsystem ist nur der Fall der Cayleyschen Gruppentafel.

Ich habe den Eindruck, dass noch etwas ganz Neues hinzukommen muss um zu Isomorphie und zu Existenzsätzen zu kommen. Dieses Zerlegungsgesetz ist nur eine etwas verschönte Zusammenfassung der Anwendung der gewöhnlichen Klassenkörpertheorie .

Mit vielen herzlichen Grüssen von Haus zu Haus

      Ihr Artin

Kommentare zum Brief Nr. 42:

  42.1 Der erste Brief über Faktorensysteme.