Hamburg, den 3. Dezember 1928.
Lieber Herr Hasse!
Besten Dank für Ihren lieben Brief. Zunächst muss ich feststellen, dass wir uns ein wenig missverstanden haben.42 Herr Schreier und ich wollten uns nur überzeugen, dass im Falle des absoluten Klassenkörpers der Satz von den ambigen Klassen trivial ist, wenn man die ganze Klassenkörpertheorie voraussetzt. Es handelte sich nur um die gruppentheoretische Formulierung des Satzes und diese wird dann, wie Sie ja auch gefunden haben, trivial. Dasselbe gilt von den Geschlechtern. Natürlich haben Sie von Ihrem Standpunkt auch recht. Sie werden nur fragen, warum mich das so sehr interessierte. Das kommt daher, weil anscheinend Furtwängler nicht an die Möglichkeit glaubt, dass es zu gegebenen Gruppen auch immer zweite Klassenkörper gibt. Ich empfand es dann als „Pflicht“, die bekannten idealtheoretischen Sätze auf ihre gruppentheoretische Bedeutung hin zu prüfen und zu sehen, ob sich nicht irgendwo doch eine Einschränkung für die Gruppen ergibt. Natürlich stellte sich eine solche Einschränkung nicht heraus. Furtwängler hat übrigens nie explizit behauptet dass er nicht daran glaubt, sondern ist nur direkten Fragen darüber aus dem Weg gegangen. Als er mir die Ihnen bereits bekannte Gruppe schrieb43 , sagte er noch, man wisse natürlich nicht ob das wirklich ein Gegenbeispiel gegen seinen Satz sei. Diese Skepsis ärgerte mich natürlich sehr, und so versuchte ich ein Beispiel dazu zu finden. Das ist die Genesis des Beispiels und der ambigen Klassen.44
Ich möchte Sie aber nun etwas ganz von diesem Gegenstande verschiedenes fragen, nämlich etwas aus der Theorie der quadratischen Formen. Sie wissen ja, dass ich darüber lese. Bei den Vorbereitungen für die späteren Stunden merkte ich nun, dass die vorhandenen Beweise für den folgenden Satz geradezu scheusslich sind: „Formen desselben Geschlechts sind stets rational unimodular in einander transformierbar, wobei die Nenner zu irgend einer rationalen Zahl teilerfremd gewählt werden können.“ Ich habe natürlich nicht die gesamte Literatur über diesen Gegenstand durchsehen können, sondern nur Minkowski und Bachmann. Bei Minkowski steht überhaupt kein Beweis sondern es wird auf den Beweis von Smith für ternäre Formen verwiesen. Dieser Beweis steht nun bei Bachmann und ich finde ihn scheusslich. So kann er nicht bleiben. Ich finde es sehr bedauerlich, dass Minkowski für diesen wichtigen Satz keinen Beweis geliefert hat. Das lässt den Verdacht aufkommen, dass auch der Minkowskische Beweis nicht schön ist und auch von ihm selbst als unschön empfunden wurde. Ich habe nun auch in Ihren Arbeiten über dieses Gebiet nachgesehen oder vielmehr das habe ich zu allererst getan. Leider beweisen Sie aber nicht den wichtigen Zusatz über die Nenner, da das ja nicht in den Bereich der Aufgabe fällt, die Sie sich gestellt haben. Ich sehe auch nicht, wie man daraus den Satz gewinnen kann. Natürlich würde es sich nur darum handeln, den Satz zu beweisen, dass Formen desselben Geschlechts die gleichen Zahlen darstellen, wenn man über die Nenner die analoge Einschränkung gibt. Nun haben Sie sich aber doch seinerzeit ausführlich mit der Theorie der quadratischen Formen beschäftigt und ich habe noch immer die Hoffnung, dass Sie sich einen, gemessen an den vorhandenen, einfacheren Beweis überlegt haben. Es muss doch gehen! Darf ich Sie nun bitten, mir den Beweis, wenn Sie einen solchen haben oder wenn Sie wissen, wo er in der Literatur zu finden ist, wenigstens zu skizzieren. Bringt Ihr Ergebnis irgend eine Vereinfachung in die Fragestellung? Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir etwas darüber schreiben könnten.45
Mit den besten Grüssen und einer Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin
Ihr Artin