Hamburg, den 22. November
1928.
Lieber Herr Hasse!
Ich habe natürlich Unsinn geredet in meinem letzten Brief. Ich meine die Angelegenheit mit den ambigen Klassen. Natürlich gilt das allgemein für jeden Grundkörper und ich habe die Absendung des Briefes schon bereut als er im Kasten lag. Na, das kann ja mal passieren. Übrigens hat Herr Schreier den Satz über die ambigen Klassen und den Satz über die Geschlechter auch noch einmal gruppentheoretisch bestätigt. Es wird hier alles trivial.38
In aller Eile – und das ist der eigentliche Grund für meinen heutigen Brief – will ich Ihnen noch die neuesten Ergebnisse von Herrn Schreier über die Gruppen der zweiten -Klassenkörper über einem imaginär quadratischen Grundkörper berichten.39 Es scheint hier, dass doch mächtige Einschränkungen vorkommen. Mit Hilfe Ihres Satzes, dass in einem Unterkörper mit zyklischer Gruppe nur ebenso viel Klassen des Grundkörpers Hauptideale werden können als der Grad des Unterkörpers angibt, lässt sich zeigen, dass die meisten metabelschen -Gruppen gar nicht als Gruppen der zweiten -Klassenkörper auftreten können. Nimmt man noch die Einschränkung hinzu, die ich Ihnen im letzten Brief schrieb40 , und diese überschneidet sich fast nie mit der durch Ihren Satz gegebenen Einschränkung, so bleibt nur sehr wenig übrig. Abgesehen von den zyklischen Gruppen, gibt es nämlich für ungerades keine Gruppe der Ordnungen 3,4,5, die als Gruppe des zweiten -Klassenkörpers auftreten könnte. Es wäre also von Interesse zu untersuchen, welches der Grad des zweiten -Klassenkörpers von R() ist. Der Relativgrad in bezug auf den quadratischen Grundkörper muss mindestens 36, also die Klassenzahl des ersten Klassenkörpers mindestens 34 = 81 sein. Die Klassenzahl ist also erheblich grösser als die Klassenzahl des Grundkörpers. Es ist übrigens sehr reizvoll zu sehen, dass die meisten Gruppen durch Ihre Bedingung ausgeschlossen werden und dass dann die wenigen, die übrig bleiben, gerade durch meine Bedingung zum Wegfall kommen. Nehmen Sie etwa eine abelsche Gruppe vom Grade n, die nicht zyklisch ist, als Gruppe des zweiten Klassenkörpers. Das heisst, der erste -Klassenkörper soll die Klassenzahl eins haben. Dann ist sofort zu sehen, dass Ihre Bedingung nicht erfüllt ist, denn in einem geeigneten Unterkörper des ersten Klassenkörpers wird schon jedes Ideal des Grundkörpers Hauptideal (ich meine natürlich einen geeigneten relativ zyklischen Unterkörper). Wohl aber ist meine Bedingung von der Einbettbarkeit erfüllt. Auch für den umgekehrten Fall gibt es Beispiele schon von der Ordnung 3. Man muss also annehmen, dass keine der beiden Bedingungen die Wahre ist, d.h. dass sich vermutlich eine umfassendere und schärfere Bedingung als beide zusammen genommen aufstellen lassen wird. Ich habe keine Ahnung wie sie aussehen wird. Hoffentlich so, dass man damit arbeiten kann. Die beiden bisherigen sind sehr unhandlich und sicher noch nicht die wahren. Hat Scholz die Gruppe der Idealklassen in R() bestimmt? Wenn ja, dann wäre ich Ihnen dankbar wenn Sie mir die Gruppe mitteilten.41
Für heute gibt es sonst nichts neues. Ich habe mich doch schon sehr zu meinem Vorteile verändert. Als Nachteil kommt halt hinzu, dass anscheinend viel Unsinn in meinen Briefen mit in Kauf genommen werden muss.
Darf ich Sie noch bitten, Ihrer Frau Gemahlin meine besten Empfehlungen zu bestellen und seien Sie selbst herzlichst gegrüsst von Ihrem
Artin