Inhalt:
Hilfsassistentengelder werden eingefroren. Stipendien der Notgemeinschaft. Weiteres zu den
Idealbeziehungen vom Kommutativen zum Nichtkommutativen.
3.8.32
Lieber Herr Hasse!
Ich habe heute mit Neugebauer wegen einer Assistentenstelle gesprochen1): es ist aber leider keine Aussicht auf baldiges Freiwerden, da Hilfsassistentengelder eingefroren werden sollen.2) Dagegen sagt Deuring mir, daß v.d. Waerden für seine Vertretung einen Leipziger Koebe-Schüler in fester Aussicht habe, aber noch keine bindenden Abmachungen getroffen.3) In Vertretung - ein Jahr - wird aber nur die Hälfte von Deurings Gehalt bezahlt, also nicht viel über 100 M.4) v. d. Waerdens Adresse ist augenblicklich Graz (Österreich), Peinlichgasse 12, bei Rellich.5) - Mit der Zeit käme ja auch ein Notgemeinschaftsstipendium6) in betracht, für Fitting habe ich diesen Sommer eines erhalten, auf 10 Monate.7)
Meine Note bekommen Sie erst nächste Woche; ich bin nun einmal langsam im Ausarbeiten, und außerdem habe ich mir erst im Anschluß an Ihre Note überlegt, daß ich mich ebenfalls von der Voraussetzung “k galoissch” freimachen kann; das muß ich noch einarbeiten.8) Was ich mehr habe als Sie9), ist daß ich alle zur Differente primen Ideale bestimmen kann, d.h. ihre p-Komponenten, vermöge der Moduln aller Ordnungen aus k. Ob es zahlentheoretische Bedeutung hat, weiß ich einstweilen nicht; dagegen interessiert mich sehr, was Sie über den Zusammenhang mit der Kroneckerschen Klassenzahlrelation schreiben. Wir haben die Rollen getauscht: Sie führen Existenzbeweis, ich schreibe explizit hin; aber in Ihrer transformierten Basis wird wohl allerhand stecken!
Den Chevalley-Beweis hätte ich gern geschickt; ich habe ihn nicht.10) Ihr Manuskr[ipt] kommt mit meinem Beweis zurück.
Herzl[iche] Grüße, Ihre Emmy Noether
1Neugebauer war stellvertretender Geschäftsführer des Göttinger mathematischen Instituts und wohl in Abwesenheit von Courant für Assistentenstellen zuständig. - Wahrscheinlich hatte Hasse bei Noether angefragt, ob in Göttingen eine Assistentenstelle frei wäre. Aus dem Zusammenhang geht nicht hervor, für welchen seiner Schüler Hasse sich hier einsetzte. Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Hans Reichardt handelte, denn Reichardt war soeben (1932) bei Hasse promoviert, mit einer Dissertation über kubische Zahlkörper Rei:1933 . Einige Monate später, im März 1933, fragte Hasse bei Brandt in Halle an, ob er nicht Reichardt dort unterbringen könne (was nicht möglich war).
2Beachte das Datum dieses Briefes. In Deutschland gab es eine sog. Wirtschaftskrise; offenbar waren die Universitäten mit Kürzungen ihrer Etats konfrontiert.
3Deuring hatte damals eine Assistentenstelle in Leipzig bei van der Waerden inne. Er plante, mit einem Stipendium für ein Jahr nach USA zu Ore an die Yale University zu gehen. Dadurch wurde seine Leipziger Assistentenstelle vorübergehend frei.
4Demnach betrug das Gehalt eines wissenschaftlichen Assistenten damals etwa 200 Mark.
5“Rellich” war der Geburtsname von Frau van der Waerden.
6Die “Notgemeinschaft für die deutsche Wissenschaft” wurde 1920 gegründet, um in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Forschung und insbesondere auch den Forschungs-Nachwuchs zu fördern. Zwar war sie 1929 in “Forschungsgemeinschaft” umbenannt worden, aber bei den Wissenschaftlern blieb der Name “Notgemeinschaft” in Gebrauch, wie wir hier sehen.
7Hans Fitting war 1931 bei Noether promoviert mit einer Arbeit über Automorphismenringe. Vgl. Brief * vom 8. 2. 1931.
8Es handelt sich um die Note “Zerfallende Verschränkte Produkte und ihre Maximalordnungen” Noe:1934 , die schon in der vorangehenden Postkarte * vom 21. 7. 1932 erwähnt wurde.
9Noether bezieht sich auf Hasses Note “Über gewisse Ideale in einer einfachen Algebra” Has:1934a .
10Wahrscheinlich handelt es sich um das Manuskript zur Note Che:1934 , die in den Hamburger Abhandlungen erschien. Hasse bezieht sich in seiner Note Has:1934a mehrfach auf Che:1934 , er muss also das Manuskript von Chevalley irgendwann zur Einsicht bekommen haben.