________________________________________________________________

06.10.1927, Hasse an Noether



Inhalt:

H.s Antwort: Konstruktion solcher Körper mit Hilfe des Lokal-Global-Prinzips für quadratische Formen.


Lösung der E. Noetherschen Halle, den 6. 10. 27
Frage auf Karte vom 4. X. 27

Liebe Fräulein Noether!

Ihre Vermutung ist richtig, wenn auch nicht direkte Folge aus meinen früheren Existenzsätzen. Ich beweise sie aber mit ganz ähnlichen Methoden:

I. Der zu konstruierende Körper vom Grade 2n, zyklisch über dem rationalen Körper R, heiße k ; sein reell geforderter Unterkörper vom Grade 2n-1 heiße k' . Ich konstruiere k als den Unterkörper 2n-ten Grades eines Kreiskörpers kp der p-ten Einheitswurzeln. Damit k selbst imaginär wird, wie es die weitere Forderung -1 = q12 + q22 + q32 in k notwendig bedingt, muß p- 1 genau durch 2n teilbar sein. Dann ist ersichtlich auch immer k imaginär und k' reell, letzteres weil k' im Unterkörper p-1
2-ten Grades kp' von k p enthalten ist. Es ist somit zuerst eine Primzahl p so zu bestimmen, daß

p  =_  1 mod 2n, p / =_  1 mod 2n+1
(1)

wird.

II. Aus meiner Arbeit Crelle 153, Satz 14 (Seite 128) folgt, daß die Gleichung -1 = q12 + q22 + q32 in k dann und nur dann lösbar ist, wenn Grad f oder Ordnung e der Primteiler l von 2 in k gerade ist.1)

Da bei der Konstruktion in I. die Ordnung e = 1 wird, weil 2 nicht in der Diskriminante von kp, also nicht in der von k eingeht, ist also nur noch durch Wahl von p dafür zu sorgen, daß f gerade wird. Da kp über k von ungeradem Relativgrad p2-n1 ist, ist der Grad fp der Primteiler lp von 2 in kp als ungerades Multiplum von f mit f gleichzeitig gerade oder ungerade. Somit kommt es nur darauf an, zu bewirken, daß fp gerade wird. Dies fp ist aber der kleinste Exponent, für den 2fp  =_ 1 mod p wird. Wie man durch Darstellung von 2 mod p durch eine primitive Wurzel mod p ohne weiteres einsieht, ist (zufolge (1)) fp dann und nur dann gerade, wenn 2 kein 2n-ter Potenzrest mod p ist. (Man kann auch direkter so schließen: k ist Klassenkörper zur Gruppe der 2n-ten Potenzreste mod p über R, also f > 1, d.h. als Teiler von 2n gerade, dann und nur dann, wenn 2 nicht in jener Gruppe liegt - Zerlegungsgesetz für den Klassenkörper). Neben (1) ist also auch die Forderung zu erfüllen:

x2n - 2  =_  0 mod p unl¨osbar (in R).
(2)

III. Es werde p  =_ 1 mod 2n aber nicht notwendig auch p  =_ 1 mod 2n+1 vorausgesetzt. Dann ist (2) entweder unlösbar oder besitzt gleich 2n inkongruente Lösungen. Tritt ersteres ein, so besitzt p in R(  V~ -
2n 2) keinen Primfaktor 1. Grades; tritt letzteres ein, so besitzt p in R( V~ -
2n 2) genau 2n verschiedene Primfaktoren 1. Grades - kurz: p wird in R(  V~ -
2n 2) “voll-zerlegt”. Das letztere ist wiederum gleichbedeutend damit, daß p im zugehörigen Galoisschen Körper R(z2n, V~ -
2n 2), wo z2n eine primitive 2n-te Einheitswurzel ist, voll-zerlegt wird. Die Bedingung (2) kann also auch so geschrieben werden:

                V~ -
p wird in R(z2n, 2n 2) nicht voll- zerlegt,
(3)

und zwar unter der Voraussetzung p  =_ 1 mod 2n. Diese letztere Voraussetzung besagt nach der Kreiskörpertheorie, daß p im Kreiskörper R(z2n) voll-zerlegt wird. Die Bedingung (1) fordert zusätzlich:

                        V~ ---
p wird in R(z2n+1) = R(z2n, z2n) nicht voll-zerlegt.
(4)

Es kommt also darauf an, die Existenz solcher in R(z2n) voll-zerlegter p nachzuweisen, die weder in R(z2n,2n V~  -
2), noch in R(z2n+1) voll-zerlegt werden, d.h. die Existenz solcher Primideale 1. Grades p aus R(z2n), für die beides der Fall ist. Das kommt wieder darauf hinaus, zu zeigen, daß diejenigen p, die entweder in R(z2n,2n V~  -
2) oder in R(z2n+1) voll-zerlegt werden, zusammen höchstens einen echten Bruchteil aller p ausmachen. Es bezeichne nun rn den Relativgrad von 2n V~  -
2 über R(z2n), 2 ist der Relativgrad von  V~ ---
z2n über R(z2n), und es bezeichne rn den Relativgrad des Kompositums (2n V~ -
2, V~ ---
z2n) über R(z2n). Dann bilden:

  1. die in R(z2n, V~ -
2n 2) voll-zerlegten p genau den Bruchteil r1
n aller p,
  2. die in R(z2n, V~ z2n) voll-zerlegten p genau den Bruchteil 12 aller p,
  3. die in R(z2n,n V~  -
2 2) und R(z2n, V~ --
z2n) voll-zerlegten p genau den Bruchteil r1n aller p,

und folglich die entweder ...oder ...voll-zerlegten p genau den Bruchteil -1
rn+ 1
2 --1
rn aller p.2)

Es ist also zu beweisen:

1-+ 1 - -1 < 1
rn  2   rn
(5)

IV. Der Relativgrad rn ist nicht etwa 2n, sondern

        n-1
rn  =  2    f¨ur n > 3,
rn  =  2n  fu¨r  n = 1,2.
Für n = 1,2 ist das klar, weil  V~
2 weder zu R(z2) = R(-1) = R noch zu R(z22) = R(i) gehört. Für n > 3 gehört aber  V~ -
2 zu R(z2n), sodaß jedenfalls rn < 2n-1 ist. Dagegen gehört dann schon  V~ -
22 2 nicht zu R(z2n). Wäre das nämlich der Fall, so gehörte   V~ -
22 2 auch zum reellen Unterkörper (2n-2-ten Grades) von R(z2n), also (weil dieser auch Galoissch ist) auch der Quotient i = z22 zweier Konjugierten zu  V~ -
22 2, was unmöglich. Damit ist die Behauptung über rn bewiesen. Die Gleichung (5) reduziert sich also auf
-1-- + 1- -1   <  1 f¨ur n > 3,
2n-1   2  rn
1-   1  -1
2n + 2- rn   <  1 f¨ur n = 1,2.
Bis auf n = 1 ist das ersichtlich schon, ohne rn zu benutzen, einzusehen. Für n = 1 ist rn = 22 als Relativgrad des Kompositums (  V~
222, V~ ---
-1), was wieder die erforderliche Relation ergibt.

Entschuldigen Sie den Kopierstift.3) Es geschieht, damit ich einen Durchschlag behalte. Legen Sie Wert auf Publikation? Dann können Sie vielleicht eine kleine Note mit Ihrer Anwendung auf irreduzible Darstellungen aus dem Vorstehenden zusammenstellen und an die Annalen4) oder Gött[inger] Nachrichten geben.

Mit besten Grüßen

Ihr H. Hasse.
     

Anmerkungen zum Dokument vom 6.10.1927

1Hier zitiert Hasse diejenige Arbeit Has:1923a , in der er das Lokal-Global-Prinzip für quadratische Formen beweist, im vorliegenden Fall für die Darstellung von -1 durch die ternäre quadratische Form x12 + x22 + x32. Die Darstellbarkeit von -1 durch diese Form in einem Körper K bedeutet, wie Noether geschrieben hatte, den Zerfall der Quaternionenalgebra über K. Mithin sehen wir hier zum ersten Mal explizit das Lokal-Global-Prinzip für eine Algebra, nämlich für die Quaternionenalgebra, ausgesprochen. Es dauerte mehr als 4 Jahre, bis sich herausstellte, dass dieses Lokal-Global-Prinzip in der Tat für jede einfache zentrale Algebra über einem Zahlkörper gilt. Vgl. Noethers Brief * vom 10. 11. 1931.

2Da Hasse keine Referenz für den benutzten Dichtigkeitssatz für voll zerlegte Primideale gibt, so konnte er wohl annehmen, dass er Emmy Noether bekannt war. In der Tat handelt es sich um eine unmittelbare Folge “der für die Klassenkörpertheorie grundlegenden analytischen Relationen”, wie Hasse in seinem Klassenkörperbericht Has:1930a sagt (Teil II, Kap. V. §24); dabei meint er das Verhalten der L-Reihen im Punkt s = 1. - Heute sehen wir diesen Dichtigkeitssatz als Spezialfall des allgemeinen Dichtigkeitssatzes von Tschebotareff, der 1925 in den Mathematischen Annalen Tsc:1925 erschienen ist. Allerdings würde für den vorliegenden Fall schon der schwächere Dichtigkeitssatz von Frobenius aus dem Jahre 1896 ausreichen Frob:1896 .

3Damals wurden Briefe mit der Hand geschrieben. Und zwar in der Regel mit Tinte und Federhalter (oder Füllfederhalter). Das eignete sich jedoch nicht dazu, einen Durchschlag (mit Kohlepapier) anzufertigen. Für diesen Zweck waren im Handel besondere “Kopierstifte” erhältlich, mit denen man zur Herstellung eines Durchschlags kräftig aufdrücken konnte, die aber wie die Tintenschrift dokumentenecht waren. Weil also Hasse sich einen Durchschlag angefertigt hatte, ist dieser Brief erhalten geblieben.

4Hasse hat hier die “Mathematischen Annalen” offenbar deshalb vorgeschlagen, weil er wusste, dass Emmy Noether dort als inoffizielle Herausgeberin tätig war. “Inoffiziell” bedeutet, dass ihr Name nicht auf dem Titelblatt der Mathematischen Annalen genannt wurde. Wer allerdings Bescheid wusste und eine Arbeit aus dem Interessengebiet von Emmy Noether in den Mathematischen Annalen publizieren wollte, der schickte das Manuskript direkt an sie nach Göttingen; und wenn Emmy Noether die Arbeit empfehlen konnte, dann schickte sie diese an Blumenthal, den geschäftsführenden Herausgeber. Als Eingangsdatum erschien in der publizierten Arbeit der Tag, an dem das Manuskript bei Emmy Noether eingetroffen war. - Zur Tätigkeit von Emmy Noether als inoffizielle Herausgeberin der Mathematischen Annalen sagte Hermann Weyl in seiner Gedächtnisrede bei der Totenfeier in Bryn Mawr Wey:1935 : Emmy Noether was a zealous collaborator in the editing of the Mathematische Annalen. That this work was never explicitly recognized may have caused her some pain.” - Der Artikel von Hasse wurde jedoch nicht in den Mathematischen Annalen publiziert, sondern in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie. Siehe den nachfolgenden Brief * vom 19.10.1927.