Inhalt:
Hasses Frage nach der Charakterisierung von ZPE-Ringen.
Göttingen,
19.1.1925
Sehr geehrter Herr Hasse!
Mit Ihrer Frage nach der Primhauptidealzerlegung meinen Sie wohl, im Hinblick auf Hensel, daß diese Zerlegung für jedes Ideal des Rings, nicht nur für jedes Element, d.h. jedes Hauptideal erfüllt sein soll.1) Daß die zweite Forderung viel schwächer ist, zeigt das Beispiel des Polynombereichs von mehr Unbestimmten, wo jedes Element eindeutig in Primelemente zerlegbar ist, während für die Ideale noch alle bei endlicher Kette2) möglichen Fälle auftreten können.3)
Im ersten Fall folgt aus der Forderung4), daß jedes Ideal Hauptideal wird, und außerdem die Existenz der Einheit, wenn man Ideale von der Form (na) - wo n eine natürliche Zahl - noch als zerlegt betrachtet.
Umgekehrt ergibt sich aus diesen Voraussetzungen5) auch direkt die gewünschte Zerlegung - und ich glaube auch nicht, daß man hier axiomatisch anders fassen kann. Denn aus der Existenz der Idealbasis folgt der Kettensatz,6) also wird jedes Ideal Produkt von endlich vielen unzerlegbaren, d.h. solchen die sich nicht als Produkt zweier echter Teiler darstellen lassen. Diese unzerlegbaren sind aber Primhauptideale, denn aus den Voraussetzungen ergibt sich, daß aus Teilbarkeit Produktdarstellung folgt, aus a 0 (mod b) folgt a = bc mit echtem Teiler c, wenn b vom Einheitsideal verschieden.
Vernünftiger als das oben Mitgeteilte ist eine direkte Axiomatisierung der Henselschen Ringe, worunter ich bei festem das System aller -adischen Zahlen von nicht-negativer Ordnung verstehe.7) Sie genügen den Innsbrucker Bedingungen8), denn es gibt doch Idealtheorie der ganzen algebraischen Zahlen in ihnen - Ring ohne Nullteiler mit Einheit, Doppelkettensatz nach jedem vom Nullideal verschiedenen Ideal, algebraisch ganz abgeschlossen im Quotientenkörper - und außerdem der zusätzlichen nur ein vom Einheits- und Nullideal verschiedenes Primideal zu besitzen. Genügt umgekehrt ein Ring diesen Bedingungen, so wird jedes vom Null- und Einsideal verschiedene Ideal von der Form pr; ist nun 0 (mod p), aber / 0 (mod p2), so wird also das mit gebildete Hauptideal notwendig gleich p ; es handelt sich um einen Hauptidealring, und zwar einen Henselschen. - Diese Bemerkung gibt zugleich den Grund, warum jedes Ideal im algebraischen Zahlkörper mod einem festen Ideal zum Hauptideal wird; denn stellt man den Restklassenring nach dem festen Ideal als direkte Summe primärer dar so gibt es hier wieder nur Ideale der Form pr, also Hauptideale. Direkte Summen “verallgemeinerter” zyklischer Gruppen, die zu verschiedenen Primäridealen gehören, sind aber wieder zyklisch. (Man kann, wie sich Krull9) jetzt überlegt hat, die Henselschen Ringe einfach gewinnen, indem man den Ring der ganzen Zahlen durch Quotientenbildung durch alle durch ein festes Primideal nicht teilbare Zahlen zu einem neuen Ring erweitert.)
Ich habe in Ihrer Arbeit10) auch das Zitat auf die Krull-Arbeit noch nicht eingefügt, was Sie wohl noch bei der Korrektur nachholen.
Mit besten Grüßen, Ihre Emmy Noether.
1Die vorliegende Postkarte beantwortet offenbar eine Anfrage von Hasse. Der Wortlaut dieser Frage ist uns nicht bekannt. Aus Noethers Antwort kann man schließen, dass Hasse nach einer Axiomatisierung derjenigen Integritätsbereiche fragte, in denen der Satz von der Primhauptidealzerlegung gilt (wobei Noether sogleich feststellt, dass diese Frage auf zweierlei Weise interpretiert werden kann). Hasse hatte sich zuvor kaum für Axiomatisierung interessiert, soweit wir feststellen konnten; es ist anzunehmen, dass er von dem Vortrag von Emmy Noether auf der DMV-Tagung in Innsbruck im September 1924 sehr beeindruckt war und nun begann, sich selbst mit solchen Fragestellungen zu befassen.
Noether hatte in Innsbruck die axiomatische Charakterisierung der heute so genannten “Dedekind-Ringe” vorgetragen, also derjenigen Ringe, bei denen jedes Ideal sich eindeutig in ein Produkt von Primidealen zerlegt; dazu gehören insbesondere die Hauptordnungen der algebraischen Zahlkörper endlichen Grades. (Siehe Noe:1925 , Noe:1926a .) Demgegenüber versucht nun Hasse, diejenigen Ringe axiomatisch zu charakterisieren, in denen der Satz von der eindeutigen (bis auf Einheitsfaktoren) Zerlegung in Primelemente gilt, kurz: ZPE-Ringe.
Es ist nicht klar, was Noether meint, wenn sie in diesem Zusammenhang Hensel erwähnt. Möglicherweise hatte Hasse diesen Namen in seiner Anfrage genannt. Jedenfalls scheint Noether das auf die von ihr so genannten “Henselschen -adischen Ringe” zu beziehen, das sind die Komplettierungen der Hauptordnungen der algebraischen Zahlkörper endlichen Grades. Diese sind diskrete Bewertungsringe, für die Noether weiter unten eine idealtheoretische Charakterisierung liefert. Wir haben jedoch den Eindruck, dass Hasses Interesse in diesem Zusammenhang nicht hauptsächlich den Hauptidealringen oder diskreten Bewertungsringen gegolten hat, sondern den ZPE-Ringen. Vgl. dazu den Brief * vom 11.12.1926.
2D.h. in Ringen, bei denen jede aufsteigende Idealkette endlich ist, also in “Noetherschen Ringen” gemäß der heutigen Terminologie.
3Es ist nicht ganz klar, was Noether meint, wenn sie sagt, dass “alle möglichen Fälle auftreten können”. Eine mögliche Interpretation ist, dass es in Polynombereichen von mehr Unbestimmten Ideale gibt, deren minimale Erzeugendenzahl beliebig groß wird (wenn die Anzahl der Unbestimmten hinreichend groß ist).
4Gemeint ist die Forderung des ersten Falles, dass also jedes Ideal als Produkt von Primhauptidealen darstellbar ist.
5Nämlich den soeben genannten Eigenschaften, also: Jedes Ideal ist Hauptideal und die Existenz eines Einselements (= “Einheit” in der Noetherschen Terminologie)
6Der Noethersche “Kettensatz” besagt, dass jede aufsteigende Kette von Idealen nach endlich vielen Schritten abbricht.
7Aus den nachstehenden Ausführungen geht hervor, dass Noether damit den Bewertungsring einer diskreten Bewertung in dem zugrundeliegenden Körper meint. Es geht ihr also um eine ringtheoretische Beschreibung der diskreten Bewertungsringe. - Mit bezeichnet sie ein Primelement der Bewertung.
8“Innsbrucker Bedingungen”: Das sind die bekannten Noetherschen Axiome für einen Dedekindschen Ring. Noether hatte darüber auf der Innsbrucker DMV-Tagung 1924 vorgetragen. Ihre große Arbeit “Abstrakter Aufbau der Idealtheorie”Noe:1926a dazu erschien allerdings erst im darauffolgenden Jahr; vielleicht ist das der Grund, weshalb sie diese Axiome hier im einzelnen aufzählt, damit Hasse versteht, was sie meint. - Vgl. dazu auch den Brief * vom 3. 11. 1926.
9Wolfgang Krull war zum Zeitpunkt des vorliegenden Briefes als Privatdozent in Freiburg tätig. Als Student war er 1920/21 in Göttingen, wo er sich dem Kreis um Emmy Noether anschloss. Seitdem hielt er engen mathematischen Kontakt mit ihr. Der starke Einfluss von Emmy Noether auf das mathematische Werk von Krull ist unverkennbar. Die Idealtheorie Noethers wurde später in den Ergebnisband von Krull über Idealtheorie Kru:1935 aufgenommen.
10Hier handelt es sich um Hasses Arbeit “Zwei Existenztheoreme über algebraische Zahlkörper”, die 1925 in den Mathematischen Annalen erschien Has:1925 . Emmy Noether fungierte als inoffizielles Redaktionsmitglied der Mathematischen Annalen. Die Arbeit war vom Autor (also Hasse) am 15. Dezember 1924 datiert worden, und trägt das Eingangsdatum vom 16. 12. 1924. Demnach hatte Hasse sein Manuskript am 15.12.1924 an Emmy Noether geschickt, bei der es am 16.12. eingegangen war. Zum Zeitpunkt des vorliegenden Briefes war die Arbeit offenbar schon zur Publikation angenommen worden, und es ging nur noch um die Einfügung eines Zitats. Hasse hat dies Zitat in der Tat bei der Korrektur eingefügt; es steht auf der ersten Seite der Hasseschen Arbeit. Dort beantwortet Hasse nämlich eine von Krull aufgeworfene Frage, und es ging um das Zitat der zugehörigen Arbeit von Krull Kru:1924 . - Diese Arbeit Hasses (oder genauer: die Tatsache, dass Noether diese Arbeit kannte) sollte sich später als der Auftakt für die Kooperation von Hasse und Noether auf dem Gebiet der Algebren erweisen. Siehe Noethers Postkarte * vom 4.10.1927.