Der Brief von Artin gibt uns keinen Hinweis, mit welchen Fragen über kontinuierliche Gruppen er sich beschäftigt hat. Es gibt keine Publikation Artins über diesen Themenkreis.
Man kann aber einigermassen erraten, mit welchen Fragen über kontinuierliche Gruppen sich Artin beschäftigt hat. Denn vieles deutet darauf hin, dass es Ideen waren, die später zur Doktorarbeit von Tate [Tat67] führten, die ja die Heckeschen Arbeiten weiterführt, welche Artin seit seiner Studienzeit stark beschäftigten. (Siehe dazu [Fre04].) Und zwar ist zu vermuten, dass Artin eine zur Theorie der L-Reihen, der Funktionalgleichung der L-Reihen und der Zeta-Funktionen sowie der analytischen Klassenzahlformel analoge Theorie für lokale Körper sucht. Darauf deuten die folgenden Tatsachen hin:
1. Artins Dissertation galt der Herleitung einer solchen Theorie für quadratische Kongruenzfunktionenkörper (für diese Entwicklung siehe [Fre04]).
2. Hasse hat einige Monate vor diesem Brief seine erste Arbeit zur Klassenkörpertheorie im Kleinen [Has30c] eingereicht (16.März 1929). Es scheint ziemlich sicher zu sein, dass Artin im Anschluss daran die Idee hatte, die Arbeiten Heckes auf lokale Körper zu übertragen. Dass das so sein könnte, ergibt sich auch aus dem nächsten Punkt:
3. Artin hat 1946 eine Dissertation angeregt mit dem Titel: On the Zeta Function for Ideles, die eine Studentin, Margaret S.Matchett, an der Indiana University eingereicht hatte.66 Natürlich waren 1929 die Idele noch nicht bekannt, aber Artin hat, nachdem er vielleicht bei der Übertragung der Heckeschen Theorie auf lokale Körper auf Schwierigkeiten gestossen war (wie er im Brief Nr.28 sagt), später gesehen, dass für Idele eine solche analoge Theorie möglich sein müsse. Dabei ist daran zu erinnern, dass Artin von 1933 bis 1939 nichts publizierte, sich dann aber in Amerika bald mit Idelen und Adelen eingehender beschäftigte (siehe Artin-Whaples [AW46]). Siehe dazu auch Artins erste in den USA geleitete Dissertation mit dem Titel: On the structure of the group of -adic 1-units, von David Gilbarg an der Indiana University 1941 eingereicht [Gil42], was ebenfalls auf Artins frühe Beschäftigung mit Problemen in lokalen Körpern hindeutet.
Artin hat übrigens im Jahre 1931 (oder 1932?) in Göttingen einige Vorträge über Lie-Gruppen gehalten.