Wenn Artin von „topologischen Abwegen“ spricht, so bezieht er sich offenbar auf seine beiden Arbeiten über Topologie, die 1925 in den Hamburger Abhandlungen erschienen waren.
Die erste, nur kurze Note [Art25b], behandelt die Isotopie zweidimensionaler Flächen im vierdimensionalen Raum. Artin diskutiert „verknotete“ Kugelflächen, das sind solche, die sich nicht ohne Selbstdurchdringung in eine gewöhnliche, im 3 gelegene Kugelfläche deformieren lassen. Eine entsprechende Definition wird für Flächen beliebigen Geschlechts gegeben. Artin schreibt:
Da nun häufig die Existenz verknoteter Flächen bezweifelt wird, ist es vielleicht angebracht, auf einige Beispiele hinzuweisen.
Artin gibt keine Anhaltspunkte für den Anlass oder die Motivation zu dieser Arbeit.
Die zweite, offenbar gewichtigere, ist die Theorie der Zöpfe [Art25a], die in enger Zusammenarbeit mit Otto Schreier entstanden war. Schreier war 1924 aus Wien, wo er bei Furtwängler promoviert hatte, nach Hamburg gekommen und arbeitete bis zu seinem Tod 1928 eng mit Artin zusammen. Schreier war Gruppentheoretiker, und in der Tat ist die vorliegende Arbeit gruppentheoretisch orientiert. Es geht um die Beschreibung eines Zopfes durch eine Gruppe, die durch Erzeugende und Relationen dargestellt ist, und um die Aufstellung eines finiten Verfahrens, das gestattet, zu entscheiden, ob zwei vorgelegte Zöpfe sich ineinander deformieren lassen.
Übrigens hatte Hasse an diesen „topologischen Abwegen“ Artins und Schreiers gelegentlich selbst teilgenommen. In seinem Tagebuch findet sich unter dem Datum des 2.5.1927 eine Eintragung über die Beschreibung einer Gruppe durch Erzeugende und definierende Relationen, wobei verwiesen wird auf einen Vortrag von Schreier in Hamburg im März 1924, den Hasse offenbar besucht hatte. Und im September 1924 nahmen beide, Artin und Hasse, an der DMV-Tagung in Innsbruck teil. Artin hielt dort einen Vortrag mit dem Titel „Das Zopfproblem“ und es kann wohl angenommen werden, dass Hasse diesen Vortrag gehört hat.
Später, im Jahre 1947, ist Artin noch einmal auf die Theorie der Zöpfe zurückgekommen, in einer Arbeit in den Annals of Mathematics [Art47]. Er sagt dort über seine frühere Hamburger Arbeit:
Most of the proofs are entirely intuitive. That of the main theorem is not even convincing. But it is possible to correct the proofs.
Artin entwickelt dort also seine Theorie der Zöpfe noch einmal mit stärkeren Methoden und gelangt zu weiterführenden Verallgemeinerungen.