Lieber Herr Hasse!
Vielen Dank für Ihren Brief und das Manuskript. Ich schreibe erst jetzt, da ich Ihre Arbeiten bis jetzt studiert habe.
In der Tat kann man Ihre Arbeit gleich so lesen, dass der allgemeine galois’sche Fall herauskommt. Gestatten Sie mir dazu einige Bemerkungen, die sich aber doch nur auf Trivialitäten beziehen. Für mich waren es keine, da ich die Theorie gerade gelernt habe.
1.) Ist Z0 cykl[ischer] Unterkörper des cyklischen Körpers Z und s der Relativgrad, so ist (Z0,,) ~ (Z,,s). Dieser Satz lässt sich allgemein für galois’sche Körper aussprechen. Dann ist die Formulierung netter und der Beweis formal etwas einfacher. Beweis nach Ihrem Muster:
Ist Z0 galois’scher Unterk[örper] des galois’schen Körpers Z und der Normalt[eiler], zu dem Z0 gehört, so ist die Gruppe von Z0 die Faktorgruppe mit den Elementen . Die Indizes eines Faktorsystems von Z0 können also c, geschrieben werden. Es ist dann: 166
2.) Sowohl im Emmy-Noetherschen Hauptgeschlechtssatz wie auch bei meinem Zerlegungsgesetz treten Kongruenzen zwischen idealen Faktorensystemen auf. Hier ist nun aber eine sehr sorgfältige Definition der Kongruenz zugrunde zu legen:
Sei , ein ideales Faktorsystem. Dann heisst
Es genügt also keineswegs, dass , = (c,) mit c, 1 (mod ) ist, die c, müssen auch noch den Assoziativitätsbedingungen genügen. Als Hauptideal = , genügen sie ihnen natürlich, da , ein ideales F[aktor]s[ystem] ist. Aber die Zahlen c, erfüllen sie nur bis auf Einheitsfaktoren.
Sowohl beim Hauptgeschlechtssatz wie beim Zerlegungssatz muss nun diese Kongruenzdefinition zugrunde gelegt werden, sonst ist alles falsch.
Beispiel: Grundkörper k = R(), Z = k() ist unverzweigt über k, also ist = 1. Klassenzahl von k ist 4. = (3,1 + ) hat Ordnung 4 und 2 ist äquivalent mit = (2,).
Zum Hauptgeschlechtssatz: Im cyklischen muss der alte Hauptgeschlechtssatz erscheinen:
Zum Zerlegungssatz: k = R(), Z = k(i), = (2,1 + ), u2 = ist ideales F[aktor]s[ystem], da in k liegt. zerfiele in 2 Faktoren wenn NA (mod 1). Da NA Hauptideal ist, müsste Hauptideal sein. Wird die Kongruenz in Z verstanden, so ist das der Fall, da = (1 + i). In k ist das nicht der Fall.
Die realen F[aktor]s[ysteme] ersetzen die Zahlen des Grundkörpers. Aber das ist alles sehr bedauerlich, da die eben eingeführte Kongruenz im Allgemeinen sehr unhandlich ist. Die Assoziativitätsbedingungen sind ja für Ideale leicht, für Zahlen schwer zu lösen.
Es kommt also nicht mehr heraus als in Ihrer Crelle-Arbeit steht, wo Sie die Algebrengruppe einführen. Das ist der abstrakte Kern von allem.
Der einzige Sinn des Reziprozitätsgesetzes:
3.) Sei Z über k abelsch vom Typus 2,2. Für nicht-Diskriminantenteiler haben Ihre Invarianten den Nenner 1 oder 2, da der -Grad von Z 1 oder 2 ist. Für Diskr[iminanten]t[eiler] kann 4 herauskommen, wenn die Zerl[egungs]gruppe von die ganze Gruppe ist. Auf Grund Ihres Rez[iprozitäts]ges[etzes] kann das aber dann und nur dann eintreten, wenn es mindestens 2 solche Diskr[iminanten]teiler gibt, da sich erst zwei Brüche kompensieren können.
Kein verschränktes Produkt von R(,i) kann also Schiefkörper sein, da der Index nur 1 oder 2 sein kann.
Das ist aber möglich bei R(,i). Beispiel: u2 = 1 + i, u2 = ; (uu)2 = 3 + . Dies ist Schiefkörper. Invarianten: für p≠2,3 ist p 0 (mod 1) auch für p. Das ist ganz leicht zu sehen. Also ist 2 = ±, 3 = . Aber welches Vorzeichen gilt nun? Im cyklischen Fall reicht das Rez[iprozitäts]theorem aus, die Berechnung für Diskr[iminanten]teiler auf die für Nicht-Diskr[iminanten]t[eiler] zurückzuführen. Das geht hier bestimmt nicht, da mit Brüchen 0 oder nicht dargestellt werden kann. Wieder ein nachteiliger Unterschied gegen den cykl[ischen] Fall. Ich habe mit enormer Mühe die Indexvorzeichen doch bestimmt.
Aber gibt es hier eine einfachere Methode? Der Nachweis, dass es Schiefkörper sind, ist nicht so schwer.
4.) Ein Beispiel: k = R(). Über k die gewöhnlichen Quaternionen. Der Schiefkörper ist nur im unendlichen verzweigt also im gewöhnlichen Sinn unverzweigt. Die Siegelsche Methode kann also bei k≠R nicht das Haupttheorem liefern.
5.) Ich glaube nicht recht, dass allein mit den bisherigen Methoden die restlichen Probleme herauskommen. Die Theorie zerfällt in zwei Teile: Alte Klassenkörpertheorie und Sondersätze für das cyklische. Im cyklischen Fall fallen sie zusammen und es ist gelungen diese Sondersätze zu verallgemeinern. Natürlich ist das sehr schön und wichtig, aber noch nicht das letzte Wort.
6.) Ihre Herleitung des Normensatzes ist sehr schön und einheitlich; der Index am Schluss ist leicht zu bestimmen, da Sie nicht einmal eine neue Gruppe brauchen. Nehmen Sie die alte Herbrandsche Einheitengruppe und geben Sie hinzu die h-ten Potenzen der Diskriminantenteiler und die Konjugierten. Dabei setze sich h aus Klassenzahl und e zusammen. Sie sind Hauptideale im Zerlegungskörper und die gesuchte einfache Untergruppe von endlichem Index. Sie bleiben fest bei der Zerlegungsgruppe und vertauschen sich sonst. Es ist doch wohl klar welche Gruppe ich meine?
Zum Schluss muss ich noch um Entschuldigung bitten. Erstens über dieses Sammelsurium belangloser Trivialitäten, zweitens weil Sie meinen könnten, dass ich damit Ihre wunderbare Schöpfung angreifen will. Dass das nicht so gemeint ist, geht daraus hervor, dass ich in diesem ganzen Semester darüber lesen will. Ich will nur zeigen, dass sie noch nicht das liefert was wir suchen.
Was machen Sie zu Pfingsten und wann kommen Sie nach Hamburg?
Mit vielen Grüssen an Alle
Ihr Artin
Kommentare zum Brief Nr.46: