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27.06.1933, Noether an Hasse, Postkarte



Inhalt:

Dissertation Schwarz. Arithmetische Begründung der Klassenkörpertheorie? Tsen.


27. 6. 33

Lieber Herr Hasse!

Die hyperkomplexen Überlegungen werde ich etwas ausarbeiten, obwohl ich noch nicht weiß ob es mit der Durchkreuzung geht. Das Artin-Lemma allein schafft es jedenfalls nicht.1) Das dauert aber noch etwas, weil ich im Augenblick rasch eine Dissertation durchsehen muß (Schwarz). Offiziell geht diese an Weyl.2)

Nun möchte ich aber von Ihnen wissen, ob nicht Chevalley in Wirklichkeit alles arithmetisch hat, oder ob ein Mißverständnis von mir zugrunde liegt? Nach seiner C.R.3) (Febr. 32) fehlt ihm nur die Tatsache, daß für Kreiskörper die Klasseneinteilung A/H nach der assoziierten Gruppe übereinstimmt mit der Einteilung nach Artinklassen (Théorème B für Kreiskörper). Das ist aber doch nach Ihrer Ausarbeitung, S. 167 oben, Zeile drei4), elementar beweisbar - wie machen Sie es übrigens - und deckt sich mit Ihrer Aussage (0.4) 5), die Sie wieder als unmittelbare Folge der Zerlegungsgesetze im Kreiskörper hinstellen. Mit (0.4) arbeite ich natürlich auch. Wer hat unrecht? 6)

Ich hoffe mit meinen Ansätzen auch den ganzen arithmetischen Teil der Klassenkörperth[eorie] besser deuten zu können, nicht nur der Theorie im Kleinen.

Der Satz von Tsen gilt nicht für mehr Variablen, das ist fast unmittelbar klar. Bei einer Variablen und reell-abgeschl[ossenen] Koeff[izienten] gibt es nur “verallgemeinerte Quaternionen”.7)

Herzl. Grüße, Ihre Emmy Noether
        

Anmerkungen zum Dokument vom 27.6.1933

1Wie es scheint, hatte Hasse um eine genauere Ausführung der Noetherschen Überlegungen aus ihrem vorangegangenen Brief * vom 21. 6. 1933 gebeten. - Das “Lemma von Artin” hatte Hasse in seinen Marburger Vorlesungen Has:1933a formuliert; es handelt sich um den dortigen Satz (139); vgl. die Anmerkungen zu dem vorangegangenen Brief * vom 21. 6. 1933.

2Anscheinend war Emmy Noether die Berechtigung entzogen worden, Promotionen durchzuführen. Der Doktorand, Ludwig Schwarz, hatte eine Dissertation mit dem Titel “Zur Theorie des nichtkommutativen Polynombereichs und Quotientenrings” angefertigt. In den Promotionsakten der Fakultät wird Weyl als erster Gutachter und Herglotz als zweiter Gutachter genannt. Die Dissertation Schwarz ist offenbar nicht in einer mathematischen Zeitschrift publiziert worden. In der Göttinger Bibliothek konnten wir sie nicht finden.

3C.R. = Comptes Rendus Académie Paris. Es handelt sich um Che:1932 .

4Die Seitenzahl 167 bezieht sich auf die ursprüngliche, hektographierte Ausarbeitung der Hasseschen Marburger Vorlesungen aus dem Jahr 1932 Has:1933a . In der gedruckten Version Has:1967 handelt es sich um die Seite 193, 2. Absatz, Zeile 2.

5Der Satz (0.4) findet sich in Hasses Annalenarbeit zum 50. Geburtstag von Emmy Noether, und zwar handelt es sich dort um einen der in der Einleitung angegebenen Sätze, die als bekannt angenommen werden.

6Es liegt hier, wie Noether vermutete, ein Missverständnis vor, nämlich im Gebrauch des Wortes “elementar” für einen Beweis. Noether, und auch Chevalley, suchen nach einem “arithmetischen” Beweis, bei dem also keine Sätze über analytische Funktionen benutzt werden. Der Hassesche “Satz (0.4)” und auch die entsprechende Aussage auf “Seite 167” beziehen sich auf Kreiskörper. Zum Beweis benötigt man u.a. den Dirichletschen Satz von der Existenz von Primzahlen in einer arithmetischen Progression, und das konnte man damals nur mit Hilfe der analytischen Theorie der L-Reihen beweisen; die Beweise sind also nicht “arithmetisch”, wie Noether es eigentlich wünscht, wenn sie unter gewissen Aspekten auch als “elementar” bezeichnet werden können. - Die Tatsache, dass die Klassenkörpertheorie vollständig ohne analytische Hilfsmittel entwickelt werden kann, wurde von Chevalley erst später, in einer C.R. Note Che:1935 angekündigt.

7Vgl. den vorangegangenen Brief * vom 21. 6. 1933. Siehe auch den folgenden Brief * vom 21. 7. 1933.