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27.04.1932, Noether an Hasse, Postkarte



Inhalt:

Die Sätze von Köthe und Klassenkörpertheorie im Kleinen. Hasses Marburger Vorlesungen. Chevalley. Hasses Beweisversion für die Existenz von Normalbasen Galoisscher Erweiterungen.


Stegemühlenweg 51, 27. 4. 32

Lieber Herr Hasse!

Ich weiß nicht, ob Sie gemerkt haben, daß aus den Sätzen von Köthe sofort die Klassenkörpertheorie im Kleinen für zykl[ische] Körper folgt, d.h. die Tatsache (a : n) =  prod p|fnp.1) Und da Sie von Vorlesung2) und Chevalley3) schreiben, wollte ich Sie darauf aufmerksam machen! - Tatsächlich zeigt Köthe mit seinem Invariantensatz4) ja direkt, daß im p-adischen die Gradbedingung auch hinreichend ist für Zerfällungskörper (wozu Sie die als bekannt angenommene Indexrelation (ap : np) < np benutzten!) Das heißt also insbesondere: ein Körper KP/kp vom Grad np erzeugt die volle zyklische Algebrenklassengruppe der Ordnung np; insbesondere wenn KP/kp zyklisch vom Grad np, so ist np auch die Ordnung der Gruppe ap/np ; w.z.b.w.

Ich wollte Köthe schreiben, daß er diese Folgerung noch mit aufnimmt; er kann sich ja auf mich berufen, oder haben Sie es ihm auch schon mitgeteilt? 5)

Ihre heute gekommene Matrizenumschreibung des Deuringschen Beweises ist tatsächlich sehr hübsch; überlegt man: eS =  sum ziwiS =  sum ziSwi, mit z isomorph der zu w komplementären Basis, so ist es der alte Beweis, im wesentlichen wenigstens.6) Ich glaube aber, daß Ihre Fassung bequem sein kann für die Identifizierung der hyperkompl[ex] definierten Führer mit den Artinschen, was Deuring ja erst im Fall “ohne höhere Verzweigung” hat.7) Meine Ansätze, die aufspalten ohne zu identifizieren, werden so übersichtlicher.

Am 6. trage ich nun wahrscheinlich in Halle vor!

Herzliche Grüße Ihre Emmy Noether.
        

Anmerkungen zum Dokument vom 27.4.1932

1Noether benutzt das auch von Hasse verwendete “gruppenstenographische Prinzip”, wobei Gruppen mit demselben Symbol bezeichnet werden wie ihre Elemente. (Siehe z. Bsp. Hasse’s Klassenkörperbericht, Teil Ia Has:1927a , oder auch Hasses “Marburger Vorlesungen” Has:1933a .) Ist demgemäß eine zyklische Erweiterung von algebraischen Zahlkörpern gegeben, so steht a für die Elemente /=0 des Grundkörpers und n für diejenigen Elemente, die an den Stellen p des Führers f Normenreste aus dem Erweiterungskörper sind. Und (a : n) ist der Index der Gruppe der Normenreste in der multiplikativen Gruppe aller Elemente /=0 des Grundkörpers. Wegen der Unabhängigkeit der Bewertungen p ist (a : n) =  prod p|f(ap : np), wobei ap die Elemente /=0 der p-adischen Erweiterung des Grundkörpers bedeutet, und entsprechend np die p-adische Normgruppe. Wenn Noether von dem “Umkehrsatz im Kleinen” spricht, so meint sie damit den “Normensatz im Kleinen”, nämlich dass (ap : np) gleich dem Körpergrad np ist, und das folgt, wie sie berichtet, aus den Resultaten von Köthe.

Es handelt sich um die Arbeit Koe:1933 mit dem Titel “Erweiterung des Zentrums einfacher Algebren”; sie erschien in den Mathematischen Annalen im selben Band wie die Hassesche Widmungsarbeit Has:1933 für Emmy Noether. Zu dem Zeitpunkt dieses Briefes war die Köthesche Arbeit noch nicht erschienen, aber offenbar waren sowohl Noether als auch Hasse über die Ergebnisse informiert. - Gottfried Köthe (1905-1989) promovierte 1927 in Innsbruck und studierte 1928-1929 in Göttingen, hauptsächlich bei Emmy Noether. Später wandte er sich unter dem Einfluss von Toeplitz der Funktionalanalysis zu.

2Im Sommersemester 1932 hielt Hasse in Marburg seine Vorlesung über Klassenkörpertheorie, die später ausgearbeitet und publiziert wurde Has:1933a . Wir hatten das schon in den Anmerkungen zum Brief vom 5.4.1932 * erwähnt.

3Chevalley hatte den nötigen Formalismus geliefert, um die lokale Klassenkörpertheorie vom zyklischen auf den allgemein abelschen Fall zu übertragen. Offenbar hatte Hasse, der mit Chevalley in Briefwechsel stand, Noether über dessen Ergebnisse informiert. - Die Arbeit Che:1933 erschien im Crelleschen Journal; sie wurde von Emmy Noether für das Zentralblatt referiert.

4Der Invariantensatz von Köthe besagt, dass sich (im Lokalen) die Hasse-Invariante einer einfachen zentralen Algebra bei Grundkörpererweiterung mit dem Körpergrad multipliziert.

5Offenbar hat Noether übersehen, dass der lokale Normensatz für zyklische Erweiterungen bereits in der Widmungsarbeit Has:1933 enthalten ist, die Hasse an Emmy Noether vor einem Monat zu ihrem Geburtstag geschickt hatte. Zum Beweis hatte Hasse auf die gemeinsame Arbeit von Brauer-Hasse-Noether BraHasNoe:1932 verwiesen; dort findet sich die Behauptung in Satz 3 (der allein von Hasse stammt).

6In Hasses Tagebuch findet sich unter dem Datum “April 1932” eine Eintragung mit dem Titel: “Existenz einer regulären Basis für normale Erweiterungen 1. Art. (Aus einem hyperkomplexen Beweis von Deuring destilliert.)” Hierbei bedeutet “reguläre Basis” dasselbe wie “Normalbasis”. Es handelt sich um Normalbasen für Körper-Erweiterungen, nicht um Ganzheits-Normalbasen. Der Beweis übersetzt die Überlegungen von Deuring in die Sprache der Matrizen. Der Deuringsche Beweis Deu:1932 erschien in den Mathematischen Annalen mit dem Titel “Galoissche Theorie und Darstellungstheorie”. Offenbar wollte Hasse für seine Vorlesung einen Beweis haben, der unabhängig von der Algebrentheorie funktioniert. Der im Tagebuch enthaltene Beweis stimmt nämlich mit dem Beweis überein, den Hasse in seine “Marburger Vorlesungen” Has:1933a im Zusammenhang mit den Index-Rechnungen aufgenommen hat. Wahrscheinlich ist es dieser Beweis, den Hasse an Emmy Noether geschickt hatte.

Der Hassesche Beweis funktioniert allerdings nur für unendlichen Grundkörper. In diesem Fall hatte übrigens auch Noether bereits einen von der Algebrentheorie unabhängigen Beweis gegeben, nämlich in ihrer Arbeit “Normalbasis bei Körpern ohne höhere Verzweigung” im Hensel-Festband des Crelleschen Journals Noe:1931 . Allerdings sagt Noether später in Noe:1932 , dass ihr damaliger Beweis eine Lücke enthalte; in der Tat ist ihr Beweis sehr kurz gehalten (nur zwei Zeilen in einer Fußnote), läßt sich jedoch (wie uns F. Lorenz mitteilte) einwandfrei ausarbeiten. - Die Hassesche Tagebuch-Eintragung trägt den offenbar erst später hinzugekommenen Vermerk: Siehe Hensel, Crelle 103 (1887). Bei der Nachprüfung dieses Zitats stellten wir fest, dass Hensel im Jahre 1887 die Existenz von Normalbasen für Erweiterungen endlicher Körper - aufgefasst als Restklassenkörper von Zahlkörpern - bewiesen hatte. Vgl. Hen:1887 .

7Emmy Noether hat in ihrer Arbeit Noe:1931 im Falle einer zahm verzweigten Galois-Erweiterung zu jedem Charakter x der Galoisgruppe gewisse Ideale Dx definiert, und zwar mit Hilfe von Algebren (also “hyperkomplex”, wie sie sagt). Sie vermutete, dass die von ihr definierten Dx mit den in Art:1931 definierten Führern fx übereinstimmen. Sie konnte das jedoch nur in ganz speziellen Fällen beweisen. Erst sehr viel später konnte in fro:1983 die Noethersche Vermutung bewiesen werden. Wenn Noether schreibt, dass dies Deuring schon könne, dann scheint ein Irrtum vorzuliegen. Deuring hat das jedenfalls niemals publiziert.