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Galois’ Beweis für den Satz vom primitiven Element.
Göttingen, 10. 11. 26
Lieber Herr Hasse!
Ich möchte Ihnen doch auch noch den Galoisschen Beweis für die Existenz des primitiven Elements zur eventuellen Aufnahme in Ihr Buch angeben.1) Bei Galois (in seiner großen Abhandlung über die Auflösung durch Radikale) steht er für den Fall, daß es sich um Adjunktion verschiedener Wurzeln derselben Gleichung handelt, was im Prinzip das Gleiche ist.
Voraussetzung: Der Körper K enthält unendlich viele Elemente; K(a,b) ist Erweiterung 1. Art2); zu zeigen: K(a,b) = K(c).
Seien f(x) bzw. g(x) die in bezug auf K irreduziblen Polynome mit den Nullstellen a und b, die also - in passenden Erweiterungskörpern - in getrennte Linearfaktoren zerfallen. Seien a = a1, a2, ..., an die verschiedenen Nullstellen von f(x), b = b1, b2, ..., bm diejenigen von g(x). Es sei s aus K so gewählt, daß ai + sbk alle voneinander verschieden sind.
Das bedeutet aber: setze ich j = a + sb, so verschwindet das Produkt F(x) = (j - (a + sx))(j - (a2 + sx))(j - (an + sx)) nur für die eine Nullstelle x = b von g(x). Nun ist aber F(x) = f(j - sx) ein Polynom aus K(j), das also mit g(x) aus K(j) nur den Linearfaktor (x-b) gemein hat; somit liegt b in K(j) und also auch a.
Ich finde diesen Beweis, der keinen Satz über die Darstellung durch symmetrische Funktionen benutzt, viel schöner als den üblichen von Lagrange! So viel ich sehe - genau durchdacht habe ich es nicht - wird damit der Satz von den symmetrischen Funktionen nirgends in der Galoisschen Theorie benutzt.
Den Schluß:3) q = p hatte ich zusammengefaßt in der Bemerkung: der Exponent von q . (o : p) hat um genau eine Einheit abgenommen; also wird q . (o : p) vom Exponenten Null und ganz, somit gleich o. (Denn aus p 0(q) folgt p . (o : p) 0(q . (o : p)) und aus p 0(q . (o : p)) folgt p+1 0(q)) . Es ist im Prinzip Ihr Schluß.
Beste Grüße, Ihre Emmy Noether.
1Es handelt sich hier wieder um den Band 2 der Hasseschen “Höheren Algebra” Has:1927b . Der folgende Beweis, der, wie Noether berichtet, von Galois stammt, wurde von Hasse tatsächlich mit dem Hinweis auf Galois in sein Buch aufgenommen. In diesem Beweis wird die Benutzung symmetrischer Funktionen vermieden, um die es noch in dem vorangegangenen Brief * vom 3. 11.26 ging. - Es scheint so, dass Hasse diesen Beweis an Furtwängler schickte, zusammen mit der Mitteilung, dass er sich nun entschlossen habe, in seinem Buch den Satz über primitive Elemente nach dieser Methode darzustellen, um damit die Benutzung der symmetrischen Funktionen zu vermeiden. Denn in einer Postkarte vom 23. 11. 1926 antwortet Furtwängler: “Sehr geehrter Herr Hasse, der von Ihnen im Anschluss an eine Mitteilung von Emmy Noether mitgeteilte Beweis des Satzes K(,) = K() ist mir wohlbekannt, da ich ihn in meiner Vorlesung immer in dieser Art, ohne Benutzung des Satzes von den symmetr. Fkt. abgeleitet habe. Den Satz über die symmetr. Fkt. habe ich um seiner selbst willen und zur Verwendung bei allgemeineren Resolventenbildungen bewiesen.”
2“Erweiterung 1. Art” bedeutet “separable Erweiterung”. Die Terminologie “separabel” wurde von van der Waerden in seinem Lehrbuch “Moderne Algebra” vdW:1930 eingeführt. Bis dahin verwendete man die von Steinitz in seiner großen Arbeit “Algebraische Theorie der Körper” Ste:1910 eingeführte Bezeichnung “1. Art”.
3Hier geht es wieder um die Konsequenzen aus dem “Innsbrucker Axiom” V. Offenbar hatte Hasse geschrieben, dass er sich den Schluss q = p erst noch genauer hat überlegen müssen (vgl. den vorangehenden Brief * vom 3.11.), und dies ist Noethers Antwort darauf.